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Die Verschollenen

Die Verschollenen

Titel: Die Verschollenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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anwesend, aber nicht viele. Die meisten Jungen wiesen Mutationen und Missbildungen auf. Eines, gerade mal ein Kleinkind, nagte an etwas. Schockiert erkannte Jerry, dass es ein menschlicher Oberschenkelknochen war. Das Fleisch war komplett abgefressen worden, und das sabbernde Kind lutschte nun das Mark heraus. Neben ihm lag Robertas Leiche. Jerry wandte sich ab und atmete tief durch.
    Als er erneut hinsah, entdeckte er ein anderes Junges, das über den Boden krabbelte. Anstelle von Beinen besaß das arme Wesen lediglich zwei kurze Stümpfe. Es quengelte hungrig, bis es hochgenommen und getröstet wurde - von einer jungen
Frau mit drei Brüsten. Zwei davon waren voll und schwer, während die dritte verkümmert und eingeschrumpft war. Das Kind saugte an allen drei Brustwarzen. Jerrys anfänglicher Ekel war vergessen, und sie taten ihm in ihrer Misere beinahe leid. Dann sah er neben dem Feuer einen blutverschmierten, blonden Haarschopf liegen, den er als Ryans erkannte. Sein Mitleid löste sich in Luft auf.
    Seit wie vielen Jahren betreiben sie schon diese Inzucht?, dachte er. Deshalb haben sie die Frauen am Leben gelassen. Sie müssen ihren Genpool erweitern.
    Er fragte sich, ob eine derartige artenübergreifende Fortpflanzung überhaupt funktionieren würde. Dann musste er an Becka denken, und seine Angst kehrte zurück, stärker als zuvor. Er musste sie finden, bevor es zu spät war.
    Jerry ließ seinen Blick durch die Höhle wandern. Am anderen Ende ragte in ungefähr vier Metern Höhe ein Felsvorsprung in den Raum, der sich wie ein Laufsteg an der Wand entlangzog. An ihm lagen mehrere kleine Höhlen und Grotten. Von Becka und Pauline war nichts zu sehen, und er entdeckte keine anderen Tunnel, die von der Haupthöhle abgingen. Wenn sie tatsächlich noch am Leben waren und gefangen gehalten wurden, standen seine Chancen am besten, wenn er auf dem Felsvorsprung nach ihnen suchte. Aber wie sollte er da hochkommen? Ganz hinten in der Höhle entdeckte er einige Felsen und einen Geröllhaufen, der knapp zweieinhalb
Meter hoch war. Auf diesem Haufen stand eine primitive Leiter aus Bambusstäben, die mit Ranken zusammengebunden waren. Er konnte keinen anderen Zugangsweg zu dem Sims sehen. Anscheinend gab es keine andere Möglichkeit, in die obere Etage zu kommen.
    Klar doch. Ich muss einfach nur durch diese verdammte Wohnhöhle schlendern und vermeiden, dabei von einem Haufen wütender Mütter, die ihre Jungen verteidigen wollen, in mundgerechte Stücke gerissen zu werden. Dann klettere ich diese Leiter rauf, ohne mir den Hals zu brechen, und dann werde ich Becka finden - falls sie überhaupt da oben ist.
    Nein, sie ist bestimmt da oben. Sie muss da oben sein. Denn wenn nicht …
    Wenn nicht, war wahrscheinlich alles vorbei. Jerry hatte den Sturm überlebt und das Massaker an seinen Mitkandidaten, hatte zugesehen, wie ihm Becka entrissen worden war und die hilf- und aussichtslose Verzweiflung überstanden, die er nach ihrer Entführung gespürt hatte; er war tief in den Bau des Stammes vorgedrungen, bis zu dessen Zentrum, und war Zeuge von Troys wahnsinnigem Opfer geworden - wenn Becka jetzt nicht hier war oder nicht mehr lebte, hatte das alles wirklich keinen Sinn mehr. Dann konnte er genauso gut in die Höhle rausmarschieren, seinen Speer niederlegen und das Schicksal seiner Ex-Mitkandidaten teilen.
    Dann dachte er an Beckas Lächeln und den Ausdruck
des Vertrauens in ihrem Gesicht - und an den Kuss.
    Er hörte Troys Stimme in seinem Kopf: Sorg einfach nur dafür, dass du sie verdammt noch mal rettest!
    Okay, Troy, dachte er. Wenn du jetzt hier wärst, würdest du wahrscheinlich irgendwas Tiefgründiges sagen, zum Beispiel »Scheiß drauf!«. Also, scheiß drauf. Die können mich alle mal am Arsch lecken.
    Er spähte in die Höhle. Die Kreatur, die ihm am nächsten war, stand ungefähr drei Meter weit entfernt - eine junge Mutter, der Größe und dem Gewicht nach selbst fast noch ein Kind, mit zwei Kleinen, die wahrscheinlich ihre eigenen waren. Dasjenige im Kleinkindalter schien überraschenderweise frei von jeglichen Missbildungen. Das andere war vielleicht zwei oder drei Jahre alt und offenbar blind. Seine Augen waren milchig weiß, ohne Regenbogenhaut oder Pupillen. Aus den Winkeln der nutzlosen Augen quoll gelber Schleim, der im Gesichtsfell trocknete und die Haare verklebte. Es starrte blicklos vor sich hin, und sein missgestalteter, aufgeblähter Kopf schwankte unkontrolliert hin und her, da der dünne Hals ihn

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