Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschollenen

Die Verschollenen

Titel: Die Verschollenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
Vom Netzwerk:
offenbar kaum stützen konnte.
    Scheiß drauf, wiederholte Jerry wortlos für sich.
    Er stand auf und schob sich die Lampe in die Tasche. Dann packte er mit beiden Händen den Speer, stieß einen Schrei aus und stürmte in die Höhle. Erschrocken sprangen die Kreaturen auf und liefen
auseinander, da dieser Ausbruch ihnen offenbar Angst einjagte. Jaulende Schreie wurden laut. Mütter schnappten sich ihre Kleinsten und sammelten die älteren Jungen hinter sich. Sie fletschten die Zähne und fauchten ihn an. Jerry machte sich das Chaos und die Verunsicherung, die nach seinem Auftritt herrschten, zunutze, packte das blinde Junge und entriss es seiner Mutter. Die Kreatur wollte ihr Kleines nicht loslassen und zerrte an seinem Arm. Jerry zog fester. Der kleine Kryptid quäkte und schrie, da ihn seine Rolle als Seil bei diesem Tauziehen furchtbar ängstigte. Seine blinden Augen rollten unkontrolliert. Jerry stach mit dem Speer nach der Mutter, die zurückwich und das Junge losließ. Er wirbelte das kleine Monster herum. Dann schlang er einen Arm fest um den dürren Hals, hob die Speerspitze an die Kehle seiner Geisel und wandte sich dem Stamm zu.
    Sie umkreisten ihn langsam, offenbar wütend über sein plötzliches gewaltsames Eindringen. Die Weibchen waren kleiner als die Männchen, verfügten jedoch ebenfalls über einige der gefährlichen Attribute ihrer Art wie die langen, gebogenen Krallen und die rasiermesserscharfen Zähne. Beides präsentierten sie ihm nun, um zu zeigen, was ihm bevorstand. Völlig synchron schoben sie sich näher an ihn heran.
    »Zurück«, schrie er. »Zurück mit euch, sonst muss das Kind dran glauben!«
    Um seine Drohung zu verdeutlichen, drückte Jerry
den Speer fester an die Kehle des Kleinen. Das Junge zitterte. Heißer Urin tropfte an seinem Bein hinunter und sammelte sich vor Jerrys Füßen in einer Pfütze. Der Ammoniakgestank war überwältigend. Jerry musste husten, und seine Augen tränten. Da sie das als Zeichen von Schwäche oder Zweifel deuteten, krochen die Weibchen wieder näher heran. Die Mutter der Geisel bellte wütend.
    »Ich meine es ernst«, fuhr er fort und versuchte, den Brechreiz zu unterdrücken. »Zieht euch verdammt noch mal zurück!«
    Jerry war sicher, dass sie seine Worte nicht verstanden, aber seine Absicht war ihnen offenbar klargeworden. Knurrend zogen sich die ausgewachsenen Kreaturen ein Stück weit zurück. Doch sie ließen ihn nicht aus den Augen. Die Stimmung war aggressiv. Und konnte er es ihnen verübeln? Immerhin war er hier der Eindringling. Er war derjenige, der in ihr Heim eingedrungen war und eines ihrer Kinder bedrohte.
    Nein, vergiss es. Die haben angefangen.
    Aber aus welchen Gründen? Aus Nahrungsmangel, so viel war sicher. Für Jerry war klar, dass das Ökosystem der Insel einen Stamm dieser Größe nicht länger ernähren konnte. Die meisten der Kreaturen zeigten deutliche Spuren von Unterernährung. Und vielleicht auch, um ihr Brutpotenzial zu erhöhen und den Mutationen ein Ende zu setzen, die ihre Gemeinschaft plagten. Waren ihre
Methoden böse? Nein. Sie waren primitiv, unzivilisiert und animalisch, aber dasselbe konnte man auch über so manche Ausrutscher der Menschheit in ihrer ach so stolzen Vergangenheit sagen.
    Er schob das blinde Wesen vor sich her, doch es stolperte. Einen Moment lang flackerten Schuldgefühle in Jerry auf, doch er unterdrückte sie und biss die Zähne zusammen. Er hielt die Speerspitze an die Kehle des Kleinen gepresst, so dass die Haut eingedrückt, aber nicht aufgeritzt wurde.
    »Alles wird wieder gut«, murmelte Jerry und fragte sich gleichzeitig, wen er damit überzeugen wollte - sich oder seine Geisel. »Bleibt einfach alle weg von mir. Ich will das nicht tun, aber ihr habt mir keine Wahl gelassen.«
    »Jerry?«
    Als er eine menschliche Stimme hörte, zögerte er erschrocken. Um ihn herum knurrte der Stamm leise.
    »Becka?« Er wagte einen Blick nach oben und suchte den Felsvorsprung nach ihr ab.
    »Ich bin hier. Mit Pauline und Shonette. Jerry, was ist da unten los?«
    »Oh mein Gott! Becka … geht es dir gut? Was haben sie -«
    »Das ist jetzt unwichtig. Was ist los?«
    »Ihr seid gerettet.«
    Die Wut des Stammes wuchs, als Jerry und Becka sich schreiend austauschten. Einige der Mutigeren
begannen, wieder in Jerrys Richtung zu schleichen. Jerry zerrte seinen schlaffen Gefangenen hoch und erhöhte den Druck auf die Speerspitze. Die Atmung des Kleinen wurde zu einem rauen Zischen, aber Jerry ließ nicht

Weitere Kostenlose Bücher