Die verschollenen Tagebücher des Adrian Mole
die Kinderbetreuung am Morgen geklappt habe. »Miserabel«, sagte sie. »Ich kann nicht jeden Tag im Dunklen aufstehen und schon um fünf Uhr bei dir sein. Da schlafe ich ja am Steuer ein.« Ich wies sie darauf hin, dass kein Hort vor sieben Uhr öffne, und bat sie inständig, weiterzumachen. Bitter antwortete sie: »Dafür gebe ich Tony Blair und Jack Straw die Schuld. Warum müssen die Omas mit reingezogen werden und sich um ihre Enkel kümmern? Ich hab meine Strafe schon mit dir und deiner Schwester verbüßt.«
Aus ihrem Mund klang die Erziehung von meiner Schwester und mir wie eine freudlose Angelegenheit. Ich fragte, wie es Iwan in der psychiatrischen Klinik gehe. »Er hat eine Aversion gegen alles Technische entwickelt«, sagte sie. »Als ein Pfleger mit einem elektronischen Feuerzeug die Kerzen am Geburtstagskuchen eines Patienten anzünden
wollte, musste Iwan sediert werden.« Ich frage mich, ob Iwan »Techno« Braithwaite jemals wieder in der Lage sein wird, sich der modernen Welt zu stellen.
Dienstag, 3. Oktober
Arthur Askey Way
D. H. Lawrence – mein persönlicher literarischer Held – arbeitete gern mit den Händen und war angeblich sehr stolz auf seine selbstgemachte Marmelade. Ich habe jetzt ebenfalls die kleinen Freuden manueller Arbeit entdeckt. Ich bilde mir ein, dass D. H. stolz auf mich gewesen wäre, als ich unserem ersten Kunden Les, der einen Eddie-Stobbart-LKW voller Mineralwasser von Liskeard nach Dundee fährt, ein Speck-Ei-Sandwich servierte. Les’ Sandwich war wirklich ein Kunstwerk, wenn ich das mal so sagen darf. Der Speck war saftig, das Ei feinfühlig gebraten, um ein Auslaufen des Dotters zu vermeiden, und das Brot war so weiß und weich wie eine frisch geschlüpfte Made. Ich war insgeheim hocherfreut, als Les es als »Oberliga« deklarierte.
Mittwoch, 4. Oktober
Konnte nicht schlafen, weil ich die ganze Zeit über Sinn und Unsinn des Transports von Mineralwasser von Liskeard nach Dundee nachdenken musste. Schottland schwimmt doch in dem Zeug.
»Leben ohne Partner« wurde abgesagt. Ich war der einzige Teilnehmer.
Donnerstag, 5. Oktober
Eddie’s Tea Bar, Zementwerk, Leicestershire
Bei Eddie zu arbeiten hat mir einen einzigartigen Einblick in die Funktionsweise des Kapitalismus gewährt. Eddie kauft im Großhandel Speck, Rinderhack, Weißbrot in Scheiben, Ketchup etc. in Gastronomiepacks und setzt dann mich für 3,60 £ die Stunde ein, um diese Zutaten in fertige Speisen umzuwandeln, die mit 200 % Profit verkauft werden. Eddie hat keine Computerkasse. Sein Laden ist ein reines Bargeschäft. Neben dem sich an den Kanten aufrollenden Samantha-Fox-Poster im Imbisswagen hängt ein Zettel: »Bitte nicht nach einem Beleg fragen, da dessen Verweigerung häufig für Verärgerung sorgt.«
Die Münzen bewahrt er in einer alten Cadbury’s-Keksdose auf. Es stört meinen Ordnungssinn, die Münzen alle durcheinanderfliegen zu sehen, aber es funktioniert eigentlich ganz gut. Banknoten werden in Eddies Schürzentasche gesteckt. Ich habe den Verdacht, dass Eddie wenig Steuern oder Umsatzsteuer bezahlt, wobei er durchaus lautstark seine Meinung zum Thema Sozialhilfebetrug äußert: »Die sollte man alle auf eine Insel irgendwo in der Nordsee schicken und sich selbst überlassen«, erklärte er heute Morgen. »Obwohl«, ergänzte er dann mitfühlend, »ein Päckchen Samen und einen Spaten würd ich ihnen schon mitgeben.«
Eddies Keksdose ist das proletarische Gegenstück zu einer Steueroase auf den Kaiman-Inseln. Es fehlen nur die Finanzberater und Buchhalter. Um Eddies »Buchhaltung« kümmert sich seine Frau, während sie sich die Wochenzusammenfassung der EastEnders im Fernsehen anschaut. Das ist offenbar ein festes Ritual.
Die LKW-Fahrer führen eine weitere Facette der Globalisierung vor Augen. Manche der Trucker sind drei Tage unterwegs, um rumänische Kühlschränke nach Bolton, England, zu schaffen. Andere haben Wüstenrennmausfutter aus Bury St. Edmunds nach Hamburg gebracht und kehren mit einer Fuhre hamburgischer Möhren zurück, die sie in einem Lagerhaus in Stowmarket, Suffolk, abladen. Das ist blanker Wahnsinn.
Inzwischen achte ich darauf, mich bei jedem LKW-Fahrer, den ich bediene, nach seinem Bestimmungsort und seiner Ladung zu erkundigen. Dadurch gelangte ich zu der Erkenntnis, dass der Kapitalismus keine vernünftige Methode ist, die Weltwirtschaft zu betreiben – er ist ineffizient, und er beutet Arbeiter wie beispielsweise mich aus.
Ich trug dieses
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