Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
Heike ist normal. So normal wie ein Märztag, der sich nicht entscheiden kann, ob er noch Winter oder schon Frühling sein soll. So normal wie ein Mittagsschläfchen, nachdem du eine große Portion Nudeln gegessen hast und furchtbar müde geworden ist. So normal... dass es gar nicht mehr auffällt, wie unnormal das eigentlich ist.
Meinen Sündenfall im Café Meier habe ich übrigens durch drei Tage Milchdiät ungeschehen gemacht. Morgens ein Joghurt, mittags ein Joghurt, abends ein großes Glas Milch – und noch ein Joghurt.
»Du hast doch nicht etwa einen Kerl kennengelernt?« fragt mein Töchterlein misstrauisch, als ich schon wieder auf die kleinere Hälfte der Pizza verzichte und stattdessen meinen Joghurt löffele.
»Nein, ich war schon seit Tagen nicht mehr bei Facebook«, beruhige ich sie, »die Herren Heiratsschwindler müssen sich andere Opfer suchen.«
Alina schüttelt den Kopf. »Nicht alle Männer sind Heiratsschwindler«, belehrt sie mich und stopft ein ungeheures Stück Pizza in sich hinein. Mit vollem Mund fährt sie fort: »Und außerdem verstehe ich nicht, warum du unbedingt abnehmen willst, wenn es nicht um einen Kerl geht. Oder benehmen sich Frauen so, wenn sie in die Wechseljahre kommen?«
Die Natur hat schon gewusst, warum sie es Müttern normalerweise instinktiv verbietet, ihre altklugen Töchter zu erschlagen. Die Menschheit wäre sonst längst ausgestorben.
»Ich bin nicht in den Wechseljahren!« entrüste ich mich und vergesse, den Löffel abzulecken. »Joghurt ist gesund! Würde dir auch nichts schaden. Rhabarberjoghurt zum Beispiel!«
Sofort verzieht Alina das Gesicht. »Wenn du mir das antust, Mum, lasse ich dich entmündigen! Kennst du übrigens den Witz von den Nonnen und dem Rhabarber?«
Jetzt verziehe ich das Gesicht. »Nein, ich kenne nur den von den Nonnen und den Bananen, den von den Nonnen und den Salatgurken und den von den Nonnen und...«
»... den Selleriestangen, ja, ja. Dann kennst du im Grunde auch den von den Nonnen und dem Rhabarber.« Alina lässt das letzte Stück ihrer Mahlzeit in sich verschwinden, es wird den Körper wie alles andere folgenlos durchqueren und schließlich verlassen, ohne auch nur ein Nanogramm Fett als Abschiedsgruß an die Oberschenkel zu tackern. Dieses Kind wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Aber vielleicht hat meine Kleine tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen und ich nähere mich unerbittlich jenen schrecklichen Jahren, in denen »vögeln« der falsche Plural von »Vogel« oder einfach nur ein Tippfehler ist und nichts mehr sonst. Sofort werde ich panisch. Wechseljahre! Gut, das heißt nicht zwingend, dass man keinen Sex mehr hat. Den habe ich auch so nicht. Ja, ich weiß, ich bin keine normale Frau (Heike fällt mir wieder ein, wie sie mit ihrem normalen Richard einen normalen Abend vor dem Fernseher verbringt und dann in einem normalen Beischlaf einen normalen Orgasmus erleidet und danach normal einschläft). Ich besitze nicht einmal alle Utensilien, die eine Frau für gewöhnlich in ihre Handtasche packt, kein I-Phone, keine Goldene Kreditkarte, nicht einmal einen Reisedildo.
Vielleicht sind es diese Gedanken, vielleicht sehne ich mich gerade tatsächlich nach einem starken, behaarten Arm, auch wenn er einem Heiratsschwindler gehört. Jedenfalls setze ich mich vor den Computer und logge mich bei Facebook ein. Aha, jemand macht mir eine Freundschaftsanfrage. Thea! Es überläuft mich kalt (wenigstens bekomme ich keine Hitzewallung, sonst wäre ich tatsächlich in den Wechseljahren). Sie hat eine Notiz dazugeschrieben: »Danke für deinen Mut, dass du unsere Seite der fetten Frauen magst. Deine Kollegin war ja nicht sehr amused...«
Ignorieren. Einfach so tun, als hätte es keine Anfrage gegeben. Ich habe ein schlechtes Gewissen, ich fühle mich wie eine Verräterin. Thea ist doch eigentlich sehr nett, ich habe sie ins offene Messer laufen lassen. Wahrscheinlich ist über die »fetten Frauen« inzwischen längst ein Shitstorm hereingebrochen, so nennt man das heute, wenn Leute anonym mobben.
Meine Hand zittert, als ich die Seite aufrufe. Es gibt nur einen neuen Eintrag seit meinem letzten Besuch:
»Liebe Fans dieser Seite! Hinter uns liegen turbulente Tage. Constanze Corzelli, von ihren bedauernswerten Opfern CC genannt, hat sich herabgelassen, die Hatz auf uns zu eröffnen! Gut so! Wir haben die Hasskommentare, die uns seither erreichten, zwar inzwischen gelöscht, aber nicht um zu zensieren! Nein, wir werden eine eigene
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