Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
beliebtester Obst- und Gemüsefotograf«, sichtet Fotos auf seinem Computerbildschirm. Aha, Rhabarber. Als er mich sieht, verzieht er das Gesicht, als habe er gerade in eben diesen Rhabarber gebissen.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass Rhabarber erst ab Mitte April wächst? Wir haben jetzt Mitte März! Ich muss auf Archivaufnahmen zurückgreifen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Das ist doch Allgemeinwissen, oder? Und sei froh, dann suchst du einfach etwas Schönes raus und wir sind durch.«
»Die sehen aber alle aus wie Penisse«, gibt Ludwig zu bedenken, »von mir sind die nicht, wahrscheinlich noch von meinem Vorgänger, der war bekanntlich schwul.«
Etwas, das Ludwig keineswegs ist. Früher hat er eine Zeitlang für ein Teenie-Modemagazin gearbeitet, aber dann ist herausgekommen, dass er regelmäßig über Nacht Arbeit mit nach Hause genommen hat. Jetzt hat er dem jungen Gemüse entsagt und widmet sich dem richtigen.
Aber er hat schon Recht. Die Rhabarberbilder sehen wirklich komisch aus. Ich werde aufpassen müssen, wenn ich meinen Artikel schreibe, dass nicht zu oft das Wort »Stange« darin vorkommt. Sätze wie »Nehmen Sie die Stange in die Hand und lutschen Sie daran« passen einfach nicht in eine Illustrierte für die ganze Familie.
Wir entscheiden uns schließlich für ein halbwegs unverfängliches Foto, das Ludwig digital aufpeppen wird. Die Präsentation ist schließlich alles. Schicke Beleuchtung, ein paar glänzende Erdbeeren um die Stange drapiert, gut macht sich immer auch ein Haustier im Hintergrund, eine Katze auf der Fensterbank oder ein Hund in seinem Körbchen.
»Okay, ich überleg mir was«, verspricht Ludwig. »Heute Mittag hast du's. Gehst du jetzt in dein Büro?«
Habe ich eigentlich vor.
»Gut, dann mach bitte gute Miene zum bösen Spiel.«
Mehr sagt er nicht. Auf das Schrecklichste vorbereitet mache ich mich auf den Weg. Einige Kolleginnen, denen ich unterwegs begegne, gucken schon so komisch. Aha, Möhren-Magerquark, mein absoluter Hit vom Juli 2009, in allen Supermärkten waren damals Möhren und Magerquark ausverkauft. Die Torte hat übrigens scheußlich geschmeckt.
Mein Büro liegt am Ende des Großraumbüros und ist eigentlich gar kein richtiges, sondern nur ein durch drei Stellwände vom Rest abgesondertes Quadrat. Etwas steht auf meinem Schreibtisch, hinter mir giggeln die Kolleginnen. Doch, ich werde sie alle umbringen.
»Freust du dich?« Ella steht hinter mir, als ich regungslos auf meinen Schreibtisch starre. Sahnetorte. Richtige fette Sahnetorte. Zehn Schokoladenkerzen, die Dochte aus Marzipan. Sie wissen genau, dass ich das nicht essen darf! Jetzt werde ich sie auf jeden Fall umbringen.
Man macht sich seine Gedanken
Ich liebe meine Arbeit, wirklich. Es ist mir aber recht, dass niemand davon erfährt. Journalistinnen von Frauenzeitschriften sind ungefähr so angesehen wie... ich weiß auch nicht. Vielleicht wie Politiker, die gleichzeitig Banker und Leichenwäscher sind. Was? Du schreibst alle zwei Wochen 80 Zeilen – und davon kannst du leben? Dass ich recherchieren muss und Leserpost beantworten, interessiert nicht. Ich nehme meine Arbeit ernst, sonst könnte ich sie ja nicht lieben. Obwohl...
Schön, ich gebe es zu: Vor zwanzig Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, mein Leben damit zu verbringen, Menschen mit unsinnigen Diäten zu piesacken. Und sie sind unsinnig, wie ich im Selbstversuch leidvoll erfahren musste. Jedes Kilo Fett wird durch einen Liter Tränen aufgewogen und selbst die beruhigende Gewissheit, deinem Körper etwas Gutes getan zu haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dein Leben ein einziger Kampf um eine Schimäre ist: den perfekten Körper.
Wenn wir ehrlich sind, gibt es keine perfekten Körper. Es gibt nur welche, die funktionieren oder nicht funktionieren, gefallen oder nicht gefallen, in die tollen Klamotten passen, die du unbedingt haben willst, oder doch nur in die sackartigen Gewänder, in denen du dich wohlfühlst. Und dafür soll man Rhabarber essen? Schon der Gedanke daran muss widerlich sein.
Nein, als ich meine Ausbildung begann, wollte ich eine ernsthafte Journalistin werden. Die Menschen aufklären, den Politikern auf die Finger schauen, all die Dinge tun, die es wert sind, dass man morgens für sie aufsteht. Es ist anders gekommen. Ich habe Pascal kennengelernt, der erste Mann, der mich nicht nach zwei Tagen schon langweilte. Sondern erst nach drei Monaten, aber da war ich bereits schwanger. Frauen
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