Die Verschwörung des Bösen
die Aufgabe des Pharaos, ohne Unterlass gegen die Gier der Menschen zu kämpfen.«
»Hatte diese Gier denn nicht am Ende des Zeitalters der großen Pyramiden gesiegt?«
»Die Finsternis wurde dem Licht vorgezogen, niemand hielt sich mehr an die Weisungen der himmlischen Gesetze, und auch keiner an die der irdischen, das Böse wurde gut geheißen, der Verbrecher als Gerechter angesehen, Sittenlosigkeit galt als Tugend, Verirrung als Geradlinigkeit, den Weisen bezeichnete man als irre, den Schwärmer als beispielhaft, und die Stimmen der Götter wurden erstickt. Isefet war an der Macht – also Ungerechtigkeit und Gewalt, Neid und Faulheit, Vergessen, Zerfall und Unordnung, und das Recht des Stärkeren ließ
Räuber und Mörder bestimmen. Wenn ihr Sieg von Dauer wäre, würde der Boden unfruchtbar, die Luft nicht mehr zum Atmen und das Wasser vergiftet. Und das Feuer des Himmels würde unsere Erde verwüsten. Es reicht nicht, wenn man zu jeder Zeit gegen isefet kämpft. Vor allem müssen wir Maat stärken, indem wir den Lauf der Zeit ritualisieren. Jedes Reich muss die bewusste Wiederholung der Schöpfungsgeschichte sein, die Wiederholung ›des ersten Males‹, um so die Mächte der zerstörerischen Unordnung zu vertreiben und Maat einzusetzen. Was weißt du über sie, Iker?«
»Wenn Maat herrscht, ist das Land stark und der Himmel ist ihm gewogen, Majestät. Als Res Tochter und Thots Gefährtin fährt sie immer in der Sonnenbarke mit, sie weist uns den rechten Weg.«
»Das gesamte Universum fußt auf den Grundsätzen Maats«, ergänzte Sesostris. »Und ihr ist es auch zu verdanken, dass die Sternenwelt, die Sonnenwelt und die irdische Welt einen Zusammenhalt bilden. Ohne Maat wäre unsere Erde unbewohnbar. Mein Wille ist Maat, denn für den Pharao kann sich nur ein aufrichtiges Herz ziemen. Meine Stärke ist die Gerechtigkeit. Würde ich mich von ihr abwenden, bedeutete dies das Ende meiner Herrschaft, denn die Bauwerke eines Zerstörers sind zur Zerstörung bestimmt. Meine vornehmste Aufgabe besteht darin, Maat zu sich selbst zu erheben, der Mittler zwischen ihr und meinem Volk zu sein, die weltliche und die kosmische Ordnung zum Schwingen zu bringen. Ein Reich, das keine himmlischen Ausmaße besitzt und Maat keine Opfer darbringt, kennt weder Gerechtigkeit noch Gegenseitigkeit oder Gemeinschaftsgeist. Er verfängt sich in menschlichen Auseinandersetzungen und in Machtkämpfen. Maat befiehlt: Handle für den, der handelt. Bist du das, Iker?«
»Ich wünsche es mir, Majestät.«
Sesostris führte Iker an den Rand der Wüste. In der Ferne war Djosers Stufenpyramide zu sehen.
»Weißt du den richtigen Namen, den die Weltlichen für eine Nekropole gebrauchen?«
»Heißt das nicht ›Maats Land‹?«
»Großartig, beständig und strahlend ist Maats Gesetz. Seit der Zeit von Osiris wurde es nie gestört. Das Böse und die Ungerechtigkeit sind zwar ständig auf dieser Welt am Werk, und ihre Missetaten häufen sich. Aber sobald einige Lebewesen Maat verehren, gelingt es dem Bösen nicht mehr, den Fluss des Lebens zu überqueren und zum anderen Ufer zu gelangen. Und wenn das Ende der Zeit kommt, bleibt allein Maat.«
Der König ging zu einem kleinen Haus der Ewigkeit aus dem Alten Reich. Über der Tür war eine Inschrift angebracht.
»Lies das, Iker.«
»Verkünde Maat, sei nicht untätig, nimm Teil an der Schöpfung, aber übertrete nicht das Gesetz.«
»Woraus bestehst du, abgesehen von deinem Körper?«
»Aus meinem Namen und meinem Herzen.«
»Dein Name besagt, dass du ein vollkommenes Werk vollenden sollst, das sich ohne Unterlass erneuert. Möge sich dein Herz mit Maat füllen, damit deine Taten gerecht sind. Du musst aber auch dein ka nähren, die Lebenskraft, die aus der anderen Welt kommt, zu der du zurückkehrst, wenn du vor dem Gericht von Osiris bestehst. Möge dir dein ba, die Fähigkeit deines Geistes, sich jenseits des Sichtbaren zu bewegen, genug Sonnenlicht schenken, das dich durch die Finsternis führt. Bist du dazu in der Lage, ein akh zu werden, ein Geschöpf des Lichts, das der Tod nicht treffen kann?«
Iker war zutiefst verwirrt. So viele Türen öffneten sich ihm, so viele neue Wahrnehmungsweisen… Die Offenbarungen des Königs machten ihn schwindlig.
»Sieh dir diesen Stein an, mein Sohn. Hat er nicht die Form eines Sockels für eine Statue?«
»Das ist eine Hieroglyphe, mit der man den Namen Maat schreibt, Majestät!«
»Die Statuen sind lebendige Wesen, geboren aus Maat. Stell
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