Die Verschwörung des Bösen
würdig waren. Doch wie hätte er diesen Prunk genießen sollen, in dem Bewusstsein, dass sein Leben gleich zu Ende war?
Wenigstens hatte er vorher noch dem Pharao begegnen und seine Fehler einsehen dürfen. Dem König war es zu verdanken, dass Ägypten Maats Weg nicht verließ.
Es klopfte.
»Aufmachen, hier ist die Wache.«
Iker gehorchte ergeben.
Ein anderer Offizier in Prachtuniform grüßte den jungen Mann.
»Seine Majestät erwartet Euch. Folgt mir bitte.«
Iker fügte sich.
Als er das strahlende Licht sah, das die Gänge durchflutete, erinnerte sich Iker an einen Lehrsatz aus seiner Schulzeit als Schreiber: »Der Palast gleicht dem Horizont. Hier geht der Pharao wie die Sonne auf und unter.«
Der Offizier geleitete ihn in einen großen hellen Raum mit vielen Fenstern, in dem Sesostris sein Frühstück einnahm: Milch, Honig und verschiedene Brotsorten.
»Setz dich, Iker, und iss etwas. Du brauchst jetzt viel ka, um diesen Tag zu bewältigen.«
Es war vollkommen unmöglich, den Blick des Pharaos auch nur kurze Zeit auszuhalten, ohne schwach zu werden. Zusammen mit seiner tragenden Stimme und seiner Ehrfurcht heischenden Gestalt machte er seinem Gegenüber deutlich, wie klein der war.
Doch warum nur genoss Iker das erstaunliche Vorrecht, hier sein zu dürfen, anstatt in einem Gefängnis zu vermodern?
»Ich bin auf der Suche nach einem Mann, der ein empfindsames Herz besitzt«, sagte Sesostris, »der entdecken und verstehen und seinen Verstand für die richtigen Gedanken gebrauchen kann, einen erfinderischen, zurückhaltenden und wortgewandten Mann, der seine Angst zu bändigen weiß und die Wahrheit unter Einsatz seines Lebens verteidigt. Bist du dieser Mann, Iker?«
»Ich wäre es gern gewesen, Majestät, aber…«
»Du hast geglaubt, du würdest für Maat kämpfen, dabei hat dich isefet, ihr Gegenspieler, ausgenützt. Trotzdem waren deine Beweggründe selbstlos. Was gibt es Vornehmeres, als sein Land vom Joch eines Gewaltherrschers zu befreien? Und du hast eine große Leistung vollbracht, indem du dich durch das Eingeständnis deiner Schuld vor Schande bewahrt hast.«
»Majestät, ich verdiene… «
»Ja, du verdienst eine Aufgabe, die deinen hehren Zielen entspricht. Ich frage dich jetzt zum letzten Mal: Willst du der Mann sein, den ich dir eben beschrieben habe?«
»Das will ich von ganzem Herzen, Majestät, ich würde alles dafür geben.«
»Wenn dein Wille vollkommen aufrichtig bleibt, wird es dir gelingen, denn du wirst ihn brauchen, um gefährliche Aufträge zu überstehen. Du wolltest doch immer Schriftgelehrter werden? Also lass uns deinen Vorfahren die Ehre erweisen. Du wirst ihre Hilfe dringend benötigen.«
Vor dem Palast erwartete Iker eine herrliche Überraschung: Nordwind – mit vor Freude strahlenden Augen und dem Schreibwerkzeug auf dem Rücken!
Nachdem das Wiedersehen mit großer Herzlichkeit gefeiert war, folgte der Esel voller Stolz seinem Herrn und dem Pharao, die von einem Trupp Bogenschützen begleitet wurden. Iker war begeistert von dem gewaltigen heiligen Gelände im nahen Sakkara, das von der Stufenpyramide des Pharaos Djoser beherrscht wurde, die wie eine kolossale Treppe in den Himmel aussah.
Der König betrat eine ewige Ruhestätte, an deren Wänden mehrere berühmte Schreiber dargestellt waren.
»Höre auf die Worte der Alten, Iker, lerne ihre Ratschläge und lies ihre Bücher. Der Mensch verschwindet von der Erde, sein Körper wird zu Staub. Aber seine Werke gestatten ihm weiterzuleben. Keiner von uns ist einem überlegen, der einen lebendigen Gedanken in Schrift umsetzen kann, weil Geschriebenes am Leben bleibt.«
In Schreibhaltung saß Iker vor der mit Skulpturen verzierten Wand und schrieb auf, was der König sagte.
»Die weisen Schreiber hatten nicht die Absicht, vergängliche Nachfahren, Kinder aus Fleisch und Blut zu hinterlassen, die ihren Namen weiterführen sollten. Als ihre Nachfolger schufen sie sich die Bücher und die Lehren. Aus ihren Texten machten sie Priester im Dienste ihres ka, aus der Palette ihren Lieblingssohn und aus der Formulierung ihre Pyramide. Mit ihrer magischen Macht erreichen sie ihre Leser. Wenn du möchtest, dass dir das Schicksal gewogen bleibt, Iker, sei weiterhin zurückhaltend, schweigsam und meide unnötiges Geschwätz. Vor allem aber darfst du nicht gierig sein und den Launen deines Bauchs nachgeben. Völlerei und Gier führen ins Verderben. Ein wahrhaft schweigsamer Mensch sucht nach den Orten, an denen Einklang
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