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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Charlottes Gesicht sah, war ihr klar, dass sie mit
ihrer Vermutung Recht hatte. Mit Ausnahme zweier leuchtend roter Flecken auf den Wangen war ihr Gesicht totenbleich. Sie sah aus, als ob sie fieberte. Mit raschen Schritten trat sie in den Raum, und kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, als die Worte schon aus ihr hervorsprudelten, ohne dass sie Vespasia wie sonst höflich begrüßt hätte.
    »Guten Morgen. Entschuldige bitte, dass ich so früh komme, aber gestern haben Juno Fetters und ich die Papiere entdeckt, die ihr Mann versteckt hatte. Er hatte eine Revolution in England geplant, bei der nicht nur der Thron gewaltsam gestürzt werden sollte, sondern auch die ganze Regierung … das Parlament, einfach alles. Stattdessen sollten ein Senat und ein Präsident eingesetzt werden. In den Plänen wurde nicht nur mit Gewalttätigkeit gerechnet, es stand auch die Zahl der voraussichtlichen Todesfälle darin, außerdem enthielten sie den Entwurf einer neuen Verfassung, die zahlreiche Reformen vorsah.«
    »So, so«, sagte Vespasia leise. »Es überrascht mich in keiner Weise, dass es solche Dokumente gibt. Nur hatte ich nicht angenommen, dass sich Martin Fetters an so etwas beteiligen würde, wenn bekannt war, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen sollte. Ich hatte ihn immer für einen Reformer und nicht für einen Umstürzler gehalten. Das A und O einer guten Regierung ist eine breite Basis der Zustimmung im Volk. Es tut mir wirklich Leid, das zu hören.« Damit war es ihr ernst. Es war bitter, zu erfahren, dass noch ein Mann, den sie bewundert hatte, seinen Grundsätzen untreu geworden war.
    Charlotte stand dicht neben ihr, ihr Blick wirkte gequält.
    »Mir auch«, sagte sie mit einem betrübten Lächeln. »Ich kannte ihn zwar nur aus seinen Schriften, aber er war mir sehr sympathisch. Für seine Frau war es einfach vernichtend, zu merken, dass der Mann, den sie geliebt hatte, in Wirklichkeit gar nicht existierte.« Sie sah suchend auf Vespasias Gesicht, ihre Augen waren ängstlich und verwirrt.
    »Setz dich.« Vespasia wies auf einen der Sessel und nahm selbst Platz. »Ich vermute, dass du in dieser Sache etwas unternehmen willst.«
    »Das habe ich bereits getan«, sagte Charlotte mit erstickter Stimme. »Juno Fetters hat gleich begriffen, dass darin das
Motiv für John Adinett lag, ihren Mann zu töten, und auch, warum er niemandem etwas darüber sagen konnte, nicht einmal, um seine Haut zu retten. Wem hätte er denn trauen sollen?«
    Vespasia wartete. Was sie da hörte, war ihr zutiefst unbehaglich.
    »Also hat sie beschlossen, Adinetts Namen reinzuwaschen, indem sie die Sache bekannt machte«, schloss Charlotte.
    »Wem?«, fragte Vespasia. Eine plötzliche Angst durchschnitt sie wie ein scharfes Messer.
    Was sich auf Charlottes Gesicht spiegelte, ließ auf ähnliche Empfindungen schließen.
    »Charles Voisey«, sagte sie. »Wir waren gestern Abend bei ihm. Sie hat ihm einen Großteil dessen berichtet, was in den Papieren stand, aber nicht alles.«
    »Ich verstehe …«
    »Nein!« Charlottes Gesicht war jetzt weiß wie ein Laken, ihre Augen hatten sich geweitet. »Vermutlich nicht. Unmittelbar, bevor wir gegangen sind, hat er Mrs. Fetters überredet, das Dokument zu vernichten, damit die Öffentlichkeit nicht dadurch beunruhigt würde, dass man die Verschwörung bekannt gab, ohne die Namen der an ihr Beteiligten nennen zu können. Das klang auch ganz sinnvoll«, fügte sie rasch hinzu, »doch hat er in der Hitze des Augenblicks Angaben aus dem Dokument erwähnt, über die wir gar nicht gesprochen hatten! Tante Vespasia, er gehört zum Inneren Kreis – möglicherweise ist er sogar der führende Kopf, denn ein anderer würde kaum so viel darüber wissen.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nur an der Spitze weiß man alles. Die Leute sind in lauter kleinen Gruppen organisiert, und damit kein Verrat möglich ist, weiß jeder nur so viel, wie unbedingt nötig ist.«
    »Ja …« Vespasias Gedanken jagten sich. Was Charlotte da sagte, ergab in ganz entsetzlicher Weise einen Sinn. Sie konnte sich Charles Voisey genau als den Mann vorstellen, der an die Spitze eines neuen revolutionären England treten sollte. Er war viele Jahre lang Berufungsrichter gewesen, alle Welt hatte gesehen, wie er dem Recht zur Geltung verhalf, falsche Entscheidungen unterer Instanzen revidierte, weder persönliche Ziele
noch solche von Parteien verfolgte. Trotz seines großen Bekannten- und Kollegenkreises hatte er sich aus allem

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