Die Verschwoerung von Whitechapel
hat. Zwar wäre es insgesamt gesehen besser gewesen, wenn er das Motiv hätte finden können, aber erforderlich war es nicht«, fügte sie abweisend hinzu. »Außerdem war es Adinetts eigener Entschluss, sich lieber hängen zu lassen, als die Pläne bekannt zu geben – was auf seine Überzeugung hinweist, dass die Verschwörung ziemlich weite Kreise gezogen haben musste. Er kannte wohl niemanden, dem er zu trauen wagte, obwohl es um sein Leben ging.«
Das Blut war Voisey erkennbar in den Kopf gestiegen. In seinen Augen lag ein sonderbarer Glanz.
Charlotte überlegte, ob er sich Vorwürfe machte, weil er als Richter in der Berufungsverhandlung am Todesurteil gegen den Mann mitgewirkt hatte, von dem er jetzt zugeben musste, dass
es sich bei ihm um ein Opfer und einen Helden handelte. Sie bedauerte, so schroff gesprochen zu haben, brachte es jedoch nicht über sich, das zu sagen.
»Und hat er sich da geirrt, Mrs. Pitt?«, fragte er mit leiser Stimme. Er wirkte angespannt. »Hätte ihm Ihr Gatte Glauben geschenkt und geholfen, wenn ihm Adinett seine Gründe für die Tötung Fetters’ mitgeteilt hätte?« Er sprach die andere Hälfte seiner Frage nicht aus.
»Falls Sie damit andeuten wollen, mein Mann sei Revolutionär oder könne der Verschwörung angehören …« Sie hielt inne, als sie sein boshaftes Lächeln sah. Sie wusste genau, was er dachte: Auch Juno hatte an die Schuldlosigkeit Martin Fetters’ geglaubt – und sich geirrt. »Ich bin überzeugt, dass er getan hätte, was er konnte, um die Verschwörung aufzudecken«, fuhr sie fort. »Aber ich verstehe, was Sie sagen wollen – auch er hätte nicht gewusst, wem er trauen sollte. Die Betreffenden hätten einfach das Beweismaterial aus dem Weg geräumt und ihn mit dazu. Doch da er nichts davon gewusst hat, stellt sich die Frage nicht.«
Voisey wandte sich erneut Juno zu. Der Ausdruck seines Gesichts änderte sich, zeigte wieder Mitgefühl. »Was haben Sie mit dem Buch getan, Mrs. Fetters?«
»Ich habe es mitgebracht«, sagte sie und hielt es ihm hin. »Ich denke, wir sollten dafür sorgen … nun, ich finde, dass es meine Pflicht ist … John Adinett zu rehabilitieren, damit man sich seiner nicht als eines Mannes erinnert, der grundlos seinen Freund getötet hat. Es … es wäre mir natürlich im Interesse meines Mannes lieber, wenn sich das vermeiden ließe, aber dazu sehe ich keine Möglichkeit.«
»Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?«, fragte er freundlich. »Sobald Sie mir das Beweisstück ausgehändigt haben, darf ich es Ihnen nicht mehr zurückgeben und muss die Sache amtlich machen. Wollen Sie es nicht lieber vernichten, damit der Name Martin Fetters in guter Erinnerung bleibt als der eines Mannes, der auf seine Weise für die Freiheit aller Menschen gekämpft hat?«
Juno zögerte.
»Ist es wirklich im Interesse der Öffentlichkeit, wenn
bekannt wird, dass es in unserem Lande Männer gibt«, fuhr Voisey fort, »deren Namen Sie nicht nennen können und deren Ziel es ist, die beiden Kammern unseres Parlaments mitsamt unserer Monarchie abzuschaffen und an deren Stelle einen Präsidenten und einen Senat zu setzen, von denen niemand weiß, welches Ausmaß an Freiheit oder Gerechtigkeit sie bieten? Für den Mann auf der Straße sind das sonderbare Gedanken, die er nicht versteht. Trotz aller Mängel und Ungerechtigkeiten fühlt er sich sicher mit dem Bestehenden, denn das kennt er. Immerhin ist es möglich, dass Adinett geschwiegen hat, weil ihm klar war, welche Unruhe die Kenntnis einer solchen Verschwörung hervorrufen kann, und nicht nur, weil er nicht wusste, wem er trauen konnte. Haben Sie sich das überlegt?«
»Nein«, sagte Juno leise. »Nein, der Gedanke ist mir nicht gekommen. Möglicherweise haben Sie Recht. Vielleicht … falls er Angst hatte zu sprechen, wäre es ihm jetzt vielleicht auch lieber, dass wir es für uns behalten. Er war ein Mann von vornehmer Gesinnung … ein bedeutender Mann. Ich verstehe, warum es Sie so sehr bekümmert, dass er tot ist. Es tut mir Leid, Mr. Voisey … und ich schäme mich.«
»Dazu haben Sie keinen Anlass«, sagte er mit einem flüchtigen traurigen Lächeln. »Es ist nicht Ihre Schuld. Ja, er war ein bedeutender Mann, und vielleicht wird man das im Laufe der Zeit auch noch erkennen. Jetzt aber scheint es mir nicht angezeigt, diese Sache öffentlich bekannt zu machen.«
Juno erhob sich, ging zum Kamin hinüber und ließ den schmalen Band ins Feuer fallen. »Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihren Rat,
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