Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Augenblick überlegen, bis sie darauf kam, was all diese Menschen miteinander gemeinsam haben mochten.
Dann ging ihr auf, dass alle von ihnen eine gewisse Unterhaltungsgabe besaßen … mit Ausnahme der Herzogin.
    Der Kronprinz war unübersehbar, und das keineswegs nur wegen seiner Vespasia wohl vertrauten Erscheinung, war sie ihm doch öfter begegnet, als sie hätte sagen können. Er fiel auch dadurch auf, dass die Menschen einen gewissen Abstand von ihm wahrten, sodass ihn eine Art achtungsvoller Aura umgab. Ganz gleich, wie lustig eine Geschichte oder wie interessant der jeweilige Klatsch sein mochte – weder drängte man sich an den Thronfolger heran, noch wagte man, etwas zu sagen, was seine Stimmung trüben konnte.
    Lächelte da etwa gerade Daisy Warwick zu ihm hinüber? Ziemlich kess, fand Vespasia. Vielleicht vermutete das junge Ding, dass bereits jeder der Anwesenden ihre enge Beziehung zu ihm kannte und es niemandem wirklich etwas ausmachte. Während Heuchelei nicht zu Daisys Schwächen gehörte, zählte sie Diskretion andererseits nicht immer zu ihren Tugenden. Zweifellos war sie schön, und sie wirkte auch bewundernswert elegant.
    Vespasia hatte es nie für erstrebenswert gehalten, Geliebte eines Angehörigen der Königsfamilie zu sein. Ihrer Ansicht nach überwog das Risiko einer solchen Beziehung bei weitem die damit verbundenen Vorteile, und dann war nicht einmal sicher, ob sie Vergnügen bereiten würde. Dem Thronfolger gegenüber empfand sie weder Zu- noch Abneigung, doch gehörte ihre Sympathie seiner Gattin. Auch wenn die arme Prinzessin wegen ihrer Taubheit in einer eigenen Welt eingeschlossen war, blieb ihr gewiss nicht verborgen, was für ein Lebemann ihr Gemahl war.
    Eine weit größere Tragödie aber, die sie möglicherweise mit weniger Frauen teilte, auch wenn es nach wie vor viel zu viele waren, bedeutete der Tod ihres Erstgeborenen zu Anfang des Jahres. Da der Herzog von Clarence ganz wie seine Mutter mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit geschlagen war, hatte zwischen ihnen ein inniges Verhältnis bestanden, das sie in ihrer nahezu lautlosen Welt eng aneinander band. Jetzt musste sie ihren Kummer allein tragen.
    Einige Schritte von Vespasia entfernt lachte der Kronprinz
herzlich über etwas, das ihm ein hoch gewachsener Mann mit einer leicht gebogenen kräftigen Nase erzählt hatte. Auf seinem eindrucksvollen Gesicht, das Klugheit und Ungeduld zeigte, lag im Augenblick nichts als Heiterkeit. Zwar war er Vespasia noch nicht vorgestellt worden, doch wusste sie, dass es sich um Charles Voisey handelte. Ein hochgebildeter Mann, Richter am Appellationsgericht, von den meisten seiner Kollegen geachtet, aber auch ein wenig gefürchtet.
    Jetzt fiel der Blick des Kronprinzen auf sie, und seine Züge leuchteten vor Freude auf. Zwar war sie eine volle Generation älter als er, aber Schönheit hatte ihn schon immer bezaubert, und er konnte sich durchaus an ihre jungen und hoffnungsfrohen Jahre erinnern, in denen sie am bezauberndsten gewesen war. Inzwischen war er des Wartens auf die Königswürde müde, wollte nichts mehr von der Verantwortung wissen, solange man ihm das mit dem Amt des Herrschers verbundene Ansehen versagte. Er entschuldigte sich bei Voisey und trat auf sie zu.
    »Lady Vespasia«, sagte er mit ungeheuchelter Freude. »Ich bin froh, dass es Ihnen möglich war, zu kommen. Ohne Sie hätte dem Abend das gewisse Etwas gefehlt.«
    Sie sah ihm kurz in die Augen, bevor sie in einem Hofknicks versank, wobei sie den Rücken gerade hielt, was ihr nach wie vor mit vollkommener Anmut gelang.
    »Danke, Königliche Hoheit. Es ist eine glänzende Soiree.« Flüchtig ging ihr durch den Kopf, dass die Abendgesellschaft, was das betraf, so vielen anderen in jenen Tagen ähnelte: Alles war in verschwenderischer Fülle vorhanden, erlesene Speisen, erstklassige Weine, Dienerschaft, wohin das Auge blickte, Musik, schimmernde Kronleuchter, hunderte von frischen Blumen. An nichts war gespart worden, und es war unmöglich, sich vorzustellen, was den Glanz noch hätte steigern können. Wie oft aber hatte es früher bei einem Bruchteil des Aufwandes mehr Gelächter und Freude gegeben, dachte sie sehnsuchtsvoll.
    Es war wohl bekannt, dass der Thronfolger seit Jahren weit über seine finanziellen Verhältnisse lebte. Jedermann kannte seine ausschweifenden Gesellschaften, seine Jagdwochenenden und seine Besuche beim Pferderennen, bei denen Vermögen aufs Spiel gesetzt, gewonnen und verloren wurden, und

Weitere Kostenlose Bücher