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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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weder
seine glänzenden Abendgesellschaften mit ihrer Unzahl von Gästen noch seine übermäßig großzügigen Geschenke an die eine oder andere Favoritin brachten irgendjemanden aus der Fassung. Viele erwähnten all das nicht einmal mehr.
    »Kennen Sie Charles Voisey?«, fragte er Vespasia. Da Voisey neben ihm stand, war es ein Gebot der Höflichkeit, ihn vorzustellen. »Voisey, Lady Vespasia Cumming-Gould. Wir kennen einander schon unendlich lange. Am besten wäre es, all die Jahre zu raffen.« Er machte eine Handbewegung. »Wir sollten einfach die langweiligen Zwischenräume herausnehmen und nur das Gelächter und die Musik zurückbehalten, angenehme Abendgesellschaften, gute Gespräche und vielleicht den einen oder anderen Tanz. Dann hätten wir ungefähr das richtige Alter, nicht wahr?«
    Sie lächelte. »Das ist der beste Vorschlag, den ich seit Jahren gehört habe, Sir«, sagte sie begeistert. »Es würde mir nicht einmal etwas ausmachen, einen Teil des Traurigen oder sogar der Auseinandersetzungen zu bewahren – aber all die langweiligen Stunden sollten wir streichen, die vielen nichts sagenden Phrasen, das Herumstehen, die höflichen Lügen. Allein damit würden Jahre verschwinden.«
    »Da haben Sie wirklich Recht!«, stimmte er voll Überzeugung zu. »Bis zu diesem Augenblick war mir gar nicht klar, wie sehr Sie mir gefehlt haben. Ich werde nicht zulassen, dass es wieder geschieht. Ich verbringe Jahre meines Lebens unter dem Joch der Pflicht. Sie dürfen mir glauben, das gefällt den Menschen, mit denen ich sie verbringe, ebenso wenig wie mir! Alles, was wir sagen, ist vorhersehbar, wir warten auf die Antwort des anderen und geben dann die nächste ebenso vorhersehbare Äußerung von uns.«
    »Bedauerlicherweise gehört das zu den königlichen Pflichten, Sir«, gab Voisey zu bedenken. »Ich kann mir nicht denken, wie sich das ändern ließe, solange wir einen Thron und einen Herrscher darauf haben.«
    »Voisey ist Berufungsrichter«, erläuterte der Prinz. »Vermutlich legt er deshalb so großen Wert auf Traditionen. Wenn man etwas bisher nicht getan hat, sollte man besser gar nicht damit anfangen.«
    »Im Gegenteil«, gab Voisey zurück. »Ich stehe neuen Ideen aufgeschlossen gegenüber, sofern sie gut sind. Ohne Fortschritt gibt es kein Leben.«
    Vespasia sah interessiert zu ihm hin. Für einen Menschen, der sich von Berufs wegen so sehr mit der Vergangenheit beschäftigte, erschien ihr das ein bemerkenswerter Standpunkt zu sein.
    Er erwiderte ihr Lächeln nicht, wie das ein weniger selbstsicherer Mensch wohl getan hätte.
    Der Prinz war mit seinen Gedanken bereits woanders. Seine Bewunderung für die Vorstellungen anderer schien enge Grenzen zu haben.
    »Gewiss«, tat er die Sache leichthin ab. »Die Zahl neuer Erfindungen ist unglaublich. Kein Mensch hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, was man heutzutage alles mit der Elektrizität anstellt.«
    Auf Voiseys Gesicht trat die Andeutung eines Lächelns. Er sah Vespasia flüchtig an, bevor er zurückgab: »In der Tat, Sir. Man fragt sich, was jetzt noch alles kommen kann.« Er war durchaus höflich, doch hörte sie in seiner Stimme eine Spur von Herablassung. Er schien ein Mann der Ideen, großer Entwürfe, geistiger Umwälzungen zu sein. Bei Einzelheiten hielt er sich nicht auf: Die waren etwas für minder bedeutende Menschen, solche, die das Leben von einer weniger hohen Warte aus betrachteten als er.
    Als jetzt ein berühmter Architekt und seine Frau zu ihnen traten, wandte sich die Unterhaltung allgemeinen Themen zu. Der Prinz warf einen bedauernden Blick auf Vespasia, in dem ein Anflug von Heiterkeit aufblitzte, dann spielte er seine Rolle beim Austausch von Belanglosigkeiten.
    Vespasia fand eine Möglichkeit, sich zu entschuldigen, und stieß auf ihrem Weg durch den Saal auf einen Politiker, den sie seit vielen Jahren kannte. Er hatte einen Charakterkopf und machte einen gelangweilten und zugleich belustigten Eindruck. Einst hatten sie für dies und jenes Seite an Seite gekämpft, Siege und Niederlagen und so manche absurde Situation erlebt.
    »Guten Abend, Somerset«, sagte sie mit aufrichtiger Freude. Sie hatte ganz vergessen, wie gut sie ihn hatte leiden können. Er
hatte ebenso gewaltige Niederlagen eingesteckt wie Erfolge errungen, und beides hatte er mit Würde getragen.
    »Lady Vespasia«, die Augen in seinem von tiefen Furchen durchzogenen Gesicht leuchteten auf. »Endlich ein vernünftiger Mensch!« Er hauchte einen Kuss auf die

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