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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schwang all der Kummer mit, den sie empfand, all die Angst und Unsicherheit, die sie vor den Kindern und zum Teil sogar vor Gracie verbergen musste.
    »Das Allerschlimmste ist, dass er dort auch leben muss. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Ich kann ihm nicht einmal schreiben, weil ich nicht weiß, wo er sich aufhält! Er schreibt mir zwar, aber ich habe keine Möglichkeit, ihm zu antworten!«
    »Das tut mir sehr Leid, meine Liebe«, sagte Vespasia mit bekümmertem Gesicht. Sofern sie außerdem Zorn empfand, war das zweitrangig. Sie hatte im Laufe ihres Lebens zu viel Ungerechtigkeit erlebt, als dass es irgendetwas gab, was sie hätte überraschen können.
    »Es handelt sich um einen Racheakt der Oberen wegen seiner Aussage im Prozess gegen John Adinett«, erklärte Charlotte.
    »Aha.« Vespasia biss ein wenig von ihrer Toastscheibe ab. Das Mädchen brachte frischen Tee und goss Charlotte eine Tasse ein.
    Als sie gegangen war, setzte Charlotte ihren Bericht fort. Sie erklärte, dass sie entschlossen sei, das Motiv für den Mord an Martin Fetters zu finden, und aus diesem Grund dessen Witwe aufgesucht hatte. Dann berichtete sie, so genau sie konnte, über den Inhalt der in Fetters’ Schreibtisch gefundenen Papiere und Gleaves Besuch.
    Nach längerem Schweigen sagte Vespasia: »Das ist eine äußerst unangenehme Geschichte. Du hast durchaus Grund, dich zu fürchten, denn die Sache ist höchst gefährlich. Ich neige dazu, deine Ansicht zu teilen, was den Zweck von Reginald Gleaves Besuch bei Mrs. Fetters angeht. Wir müssen annehmen, dass er persönliche Interessen damit verfolgt und unter Umständen bereit ist, rücksichtslos vorzugehen, um sein Ziel zu erreichen.«
    »Du meinst, er würde vor Gewalttätigkeit nicht zurückschrecken?«, fragte Charlotte in einem Ton, dem anzuhören war, dass sie es selbst vermutete.
    Vespasia ließ sie nicht im Unklaren. »Sofern ihm keine andere Möglichkeit bleibt. Es ist unerlässlich, dass du mit größter Vorsicht zu Werke gehst.«
    Unwillkürlich musste Charlotte lächeln. »Jeder andere hätte gesagt, ich solle die Finger davon lassen.«
    In Vespasias silbernen Augen blitzte es auf. »Und hättest du dich daran gehalten?«
    »Nein.«
    »Gut. Wenn du jetzt ›Ja‹ gesagt hättest, wäre das entweder die Unwahrheit gewesen, und ich kann es gar nicht leiden, wenn man mich belügt, oder es hätte gestimmt, und dann wäre ich von dir fürchterlich enttäuscht gewesen.« Sie beugte sich ein wenig über den polierten Tisch vor. »Aber meine Warnung meine ich sehr ernst, Charlotte. Ich weiß nicht, was auf dem Spiel steht, nehme aber an, dass es sehr viel ist. Der Kronprinz ist günstigstenfalls das Opfer schlechter Berater, unter Umständen aber auch ein Verschwender, dem es gleichgültig ist, ob er damit seinen guten Ruf aufs Spiel setzt. Viktoria nimmt ihre Pflichten
schon lange nicht mehr ernst. Mit dieser Haltung haben die beiden der Verbreitung von republikanischem Gedankengut Vorschub geleistet. Mir war bisher allerdings weder klar, dass sich auch Männer wie Martin Fetters bereits davon haben anstecken lassen, noch dass die Dinge so weit gediehen sind, wie das der Fall zu sein scheint. Was du da entdeckt hast, dürfte darauf hinweisen, dass die Bereitschaft, gewalttätig vorzugehen, schon ziemlich weit fortgeschritten ist.«
    Charlotte merkte, dass sie mehr oder weniger gehofft hatte, Vespasia werde ihr sagen, sie irre sich und es gebe eine andere Lösung, die eher auf der persönlichen Ebene lag. Es wäre ihr lieber, wenn sie gesagt hätte, für die gegenwärtige Gesellschaftsordnung bestehe keine Gefahr. Jetzt war auch diese Hoffnung dahin.
    »Muss man die Männer, die entschlossen sind, die Monarchie um jeden Preis am Leben zu erhalten, unter den Angehörigen des Inneren Kreises suchen?«, fragte Charlotte. Sie hatte unwillkürlich leise gesprochen, obwohl nicht zu befürchten stand, dass jemand zuhören konnte.
    »Das ahne ich nicht«, gab Vespasia zu. »Ich weiß nicht, welche Ziele die Leute verfolgen, zweifle aber nicht, dass sie bereit sind, sie rücksichtslos durchzusetzen. Auf jeden Fall scheint es mir das Beste zu sein, wenn du mit niemandem darüber sprichst. Zwar halte ich Cornwallis für einen Ehrenmann, doch kann ich letzten Endes auch bei ihm nicht wissen, was für ein Mensch er wirklich ist. Wenn die Dinge so liegen, wie du vermutest, haben wir es mit einer überaus mächtigen Clique zu tun, der es auf einen Mord mehr oder weniger nicht ankommt. Ich

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