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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Redner und konnte mitunter recht witzig sein.
    Sissons hatte sich sein Vermögen selbst erarbeitet. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die in Gegenwart von Berühmtheiten förmlich erstarren, sei es ein Genie, eine hinreißende
Schönheit oder, wie bei der Königlichen Hoheit, eine Persönlichkeit von hohem Rang.
    So gern sie gewusst hätte, was die beiden zusammengeführt hatte, sie sollte es nie erfahren, denn unvermittelt sah sie sich Charles Voisey gegenüber. Er sah belustigt zu ihr her, wobei er die Augen gegen die Sonne zusammenkniff. Sie konnte seinem Gesicht nicht entnehmen, was er empfand, hatte keine Vorstellung, ob ihm ihre Anwesenheit angenehm oder unangenehm war, ob er sie bewunderte oder verachtete oder sie gar aus seinen Gedanken strich, sobald er sie nicht mehr sah. Dieser Gedanke behagte ihr ganz und gar nicht.
    »Guten Tag, Lady Vespasia«, sagte er höflich. »Ein wunderschöner Garten.« Er sah sich in der Fülle von Formen und Farben um, ließ den Blick zu den sauber gestutzten Hecken wandern, den bunten Beeten, dem glatten Rasen und verweilte schließlich bei einigen leuchtend lila Iris, durch deren geschwungene Kelchblätter das Licht schimmerte. Ihr Duft lag schwer in der warmen Luft. »Richtig englisch«, fügte er hinzu.
    Damit hatte er Recht. Unwillkürlich musste sie an die Hitze Roms denken, die dunklen Zypressen, das Geräusch, mit dem das Wasser der Fontänen herabplätscherte, wie Musik auf Steinen. Tagsüber hatte sie die Augen vor der grellen Sonne schließen müssen, doch abends wurde das Licht sanft, ocker- und rosenfarben, tauchte alles in eine Schönheit, unter der die Wunden von Gewalttat und Vernachlässigung heilten.
    Das aber hatte mit Mario Corena zu tun, nicht mit dem Mann, der ihr jetzt gegenüberstand. Hier ging es um eine andere Schlacht, um andere Ideale. Jetzt musste sie an Pitt und die beispiellose Verschwörung denken, deren Opfer er geworden war.
    »Da haben Sie Recht«, gab sie mit ebenso distanzierter Höflichkeit zurück. »Diese wenigen Wochen des Hochsommers haben etwas ganz besonders Üppiges. Vielleicht liegt es daran, dass sie so kurz sind und man ihrer nicht sicher sein darf. Schon morgen kann es regnen.«
    Sein Blick glitt zur Seite. »Das klingt schwermütig, Lady Vespasia, und auch ein wenig traurig.«
    Sie sah auf sein Gesicht. Das scharfe Sonnenlicht ließ jeden
Makel deutlich werden, jede Spur von Leidenschaft, Unbeherrschtheit oder Schmerz. Wie nahe es ihm wohl gegangen war, dass man Adinett gehängt hatte? Damals bei dem Empfang, bevor der Fall in die Berufung gegangen war, hatte in seiner Stimme unverhüllte Wut gelegen. Trotzdem hatte er mit der Mehrheit jener Richter gestimmt, die sich für eine Verurteilung ausgesprochen hatten. Allerdings war das Abstimmungsergebnis vier zu eins gewesen. Angenommen, er stand auf der anderen Seite, dann wäre, wenn er anders gestimmt hätte, seine wahre Haltung ans Licht gekommen, ohne dass sich am Ergebnis etwas geändert hätte. So etwas würde einen Menschen wie ihn zutiefst erbittern.
    War er einfach von der Schuldlosigkeit des Mannes überzeugt, war es ein Fall persönlicher Freundschaft, oder ging es um gemeinsame politische Überzeugungen? Die Anklage hatte zu keinem Zeitpunkt ein Motiv nennen, geschweige denn beweisen können.
    »Ist das so schwer zu verstehen?«, gab sie zur Antwort. »Ein Teil der Freude, die wir an den Dingen empfinden, geht doch auf das Bewusstsein zurück, dass alles nur allzu rasch vorüber sein wird, sowie auf die Gewissheit, dass es wiederkommt, auch wenn wir es nicht alle miterleben werden.«
    Er sah sie jetzt aufmerksam an. Die Maske beiläufiger Höflichkeit war gefallen. »Auch jetzt erleben wir es nicht alle mit, Lady Vespasia.«
    Sie dachte an Pitt in Spitalfields, an Adinett in seinem Grab sowie an die namenlosen Millionen, die nicht von Blumen umgeben im Licht der Sonne standen. Sie befand, dass keine Zeit für Nettigkeiten war, und stimmte ihm mit den Worten zu: »Im Gegenteil, Mr. Voisey, nur die wenigsten. Aber zumindest ist es da, und das bedeutet Hoffnung. Es ist besser, die Blumen blühen für wenige als überhaupt nicht.«
    »Solange wir zu den wenigen gehören!«, gab er umgehend zurück. Diesmal war die Leidenschaft auf seinen Zügen unverkennbar.
    Ohne sich durch seine Ruppigkeit verstimmen zu lassen, antwortete sie mit einem Lächeln. Ihr war klar, dass in seinen Worten eine Anschuldigung mitschwang.
    In seinen Augen flackerte Zweifel auf. Vielleicht

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