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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte er einen Fehler begangen. Sie hatte sehen wollen, auf welcher Seite er stand, und er hatte es ihr gezeigt. Dann aber entspannten sich seine Züge, und er lächelte ihr breit zu, wobei er seine blendend weißen Zähne entblößte.
    »Natürlich, wie könnten wir sonst davon sprechen, außer in Träumen? Doch ich weiß, dass Sie sich gleich mir um Reformen bemüht haben und Ungerechtigkeit auch Ihnen zuwider ist.«
    Jetzt war die Reihe an ihr, unsicher zu sein. Er war nicht leicht zu durchschauen, aber vielleicht machte ihn seine Integrität so vielschichtig. Unmöglich war das nicht.
    Hatte Adinett Martin Fetters getötet, um zu verhindern, dass es in England zu einer republikanischen Revolution kam? Das wäre etwas völlig anderes als eine Reform mittels einer Gesetzesänderung durch die dazu bevollmächtigten Volksvertreter.
    Vespasia erwiderte das Lächeln, und diesmal meinte sie es aufrichtig.
    Kurz darauf trat Lord Randolph Churchill zu ihnen, und das Gespräch verließ die persönliche Ebene. Angesichts der so kurz bevorstehenden Unterhauswahl kam natürlich die Politik zur Sprache: Gladstone und der ganze Ärger mit der Selbstbestimmung Irlands, das Anwachsen anarchistischer Tendenzen auf dem europäischen Festland und die Bombenwerfer in London.
    »Das East End ist das reinste Pulverfass«, sagte Churchill leise zu Voisey. Augenscheinlich hatte er vergessen, dass Vespasia ebenfalls hören konnte, was er sagte. »Da braucht nur jemand den zündenden Funken hineinzuwerfen, und alles geht in die Luft.«
    »Und was unternehmen Sie?«, erkundigte sich Voisey mit besorgter Stimme.
    »Ich muss wissen, wem ich trauen kann und wem nicht«, gab Churchill voll Verbitterung zurück.
    Vorsichtig sagte Voisey: »Die Königin muss aus ihrer Zurückgezogenheit herauskommen und sich dem Volk erneut zuwenden. Außerdem muss der Kronprinz seine Schulden zahlen und aufhören, so verantwortungslos zu leben, als gäbe es kein Morgen.«
    »Wenn das alles wäre, hätte ich keine Probleme«, gab Churchill zurück. »Ich kannte Warren und Abberline auch bis zu einem gewissen Grade, aber was Narraway angeht, habe ich meine Zweifel. Gewiss, er ist klug, doch ich weiß nicht, auf welcher Seite er stehen würde, wenn es zum Schwur kommt.«
    Voisey lächelte.
    Einige hübsche junge Frauen in spitzenbesetzten pastellfarbenen Kleidern kamen mit schwingenden Röcken lachend vorüber und bemühten sich beim Anblick der Gruppe um ein geziemenderes Verhalten.
    Vespasia beneidete sie nicht um ihre hoffnungsvolle und unschuldige Jugend. Sie hatte ein erfülltes Leben geführt und bedauerte nur wenig. Sie mochte gelegentlich selbstsüchtig gewesen sein oder töricht gehandelt haben, doch Feigheit hatte sie sich trotz aller Widrigkeiten nie vorzuwerfen brauchen, sie hatte sich immer allem gestellt.
    Zu ihrer Enttäuschung konnte sie Somerset Carlisle nicht unter den Anwesenden entdecken. Als sie merkte, dass sie schon ziemlich lange dort gestanden hatte und sich gerade entschuldigen und weitergehen wollte, hörte sie erneut Churchills Stimme hinter einer Rosenlaube. Er sprach in drängendem Ton. Nur mit Mühe konnte sie verstehen, was er sagte.
    »… nicht wieder zur Sprache kommen! Die Sache ist erledigt. So etwas passiert nicht wieder.«
    »Das will ich hoffen!«, sagte eine andere Stimme im Flüsterton. Sie war so verzerrt, dass Vespasia sie nicht erkennen konnte. »Noch eine solche Verschwörung könnte das Ende bedeuten – und das sage ich nicht so einfach dahin.«
    »Sie sind alle tot, Gott steh uns bei«, sagte Churchill mit belegter Stimme. »Was haben Sie denn geglaubt, was wir tun würden – etwa uns erpressen lassen? Wo würde das enden?«
    »Im Grab«, kam die Antwort, »und dort gehört es auch hin.«
    Schließlich wandte sich Vespasia ab. Sie verstand nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten.
    Einige Schritte vor ihr berichtete Lady Weston einem Bewunderer von Oscar Wildes jüngstem Stück Lady Windermeres Fächer . Beide lachten.
    Vespasia trat ins Sonnenlicht hinaus zu ihnen. Diesmal drängte sie sich bewusst in die Unterhaltung anderer hinein. Sie war banal, witzig und alltäglich, und sie sehnte sich danach, daran teilzunehmen. Solange das möglich war, wollte sie an Dingen festhalten, die ihr vertraut waren.

Kapitel 7
    D ie Aufklärung der Unzahl von Einbrüchen, mit der man Tellman betraut hatte, ging an die Grenzen seiner Geduld. Während er Fragen stellte und sich die ihm vorgelegten Bilder von Schmuck ansah, waren

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