Die Verschwörung
eigentlich nur ein Sturm im Wasserglas -, ansonsten aber ziemlich zahm gewirkt. Was hatte diese neueste Entwicklung ausgelöst?
Nervös trommelte Thornhill mit den Fingern auf den Aktenkoffer, der auf seinem Schoß lag. Als er auf das harte Leder schaute, riß er plötzlich den Mund auf. Der Aktenkoffer! Der verdammte Aktenkoffer! Er hatte ihn Buchanan selbst besorgt. Einen Aktenkoffer, in dem ein Aufnahmegerät installiert war. Das Gespräch im Wagen. Thornhill hatte zugegeben, für die Ermordung des FBI-Agenten verantwortlich zu sein. Buchanan hatte ihn ausgetrickst, hatte ihm ein Geständnis entlockt, und es auf Band aufgenommen. Mit einem Gerät der CIA. Dieser verschlagene Hurensohn!
Thornhill griff nach dem Telefon. Seine Hände zitterten so heftig, daß er sich zweimal verwählte. »Sein Aktenkoffer - das Tonband darin. Finden Sie es. Und finden Sie ihn. Sie müssen das Tonband finden. Unbedingt!«
Er legte auf und ließ sich im Sitz zurücksinken. Der meisterhafte Stratege von mehr als eintausend geheimen Operationen stand der neuesten Entwicklung fassungslos gegenüber. Der Mistkerl hatte Beweise, die Thornhill zu Fall bringen und vernichten konnten. Aber auch Buchanan würde untergehen, mußte untergehen; daran führte kein Weg vorbei.
Augenblick mal. Der Skorpion! Der Frosch! Jetzt ergab alles Sinn. Buchanan würde untergehen und Thornhill mit sich reißen. Der CIA-Mann lockerte seine Krawatte, drückte sich fest in den Sitz und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an.
So wird es nicht enden, Robert, sagte er sich. Verdammt noch mal, nicht nach fünfunddreißig Jahren. Beruhige dich. Du mußt jetzt überlegen, konzentriert nachdenken. Jetzt kannst du dir deinen Platz in der Geschichte verdienen. Dieser Mann wird dich nicht besiegen. Langsam, allmählich normalisierte sich Thornhills Atem.
Vielleicht wollte Buchanan das Tonband bloß als Rückversicherung benützen. Warum den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, wenn er einfach untertauchen konnte? Nein, Buchanan hatte selbst viel zuviel zu verlieren, um sich mit dem Tonband an die Behörden zu wenden. Außerdem - so unversöhnlich konnte Buchanan nicht sein.
Plötzlich ging Thornhill ein Gedanke durch den Kopf: Vielleicht war es das Gemälde, dieses idiotische Bild. Vielleicht hatte das die ganze Sache ausgelöst. Thornhill hätte das verdammte Ding nicht mitnehmen sollen. Er würde sofort eine Nachricht auf Buchanans Anrufbeantworter sprechen und ihm mitteilen, daß er sein kostbares Meisterwerk wiederhatte. Thornhill sprach die Nachricht auf Band; dann erteilte er Anweisung, das Gemälde in Buchanans Haus zurückzubringen.
Als er sich zurücklehnte und aus dem Fenster schaute, kehrte allmählich seine Zuversicht wieder. Er hatte noch ein As im Ärmel. Ein guter Kommandant hielt stets Truppen in Reserve. Thornhill tätigte einen weiteren Anruf, und als er hörte, was sein Gesprächspartner ihm mitzuteilen hatte, hellte seine Miene sich auf, und die düsteren Visionen des Untergangs wichen. Es würde doch noch alles gut ausgehen. Thornhills Lippen verzog sich zu einem Lächeln. Ein Sieg im Angesicht der sicheren Niederlage. So etwas konnte einen Mann über Nacht um Jahrzehnte altern lassen oder ihn noch mal richtig aufbauen. Manchmal auch beides.
Wenige Minuten später stieg Thornhill aus dem Wagen und ging die Auffahrt zu seinem wunderschönen Haus hinauf. Seine tadellos gekleidete Frau erwartete ihn an der Tür und drückte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange. Sie war gerade von einer gesellschaftlichen Veranstaltung eines Country Clubs zurückgekommen. Eigentlich kam sie immer gerade von irgendeiner gesellschaftlichen Veranstaltung irgendeines Country Clubs zurück, dachte Thornhill wütend. Während er sich über Terroristen den Kopf zerbrach, die sich mit kernwaffenfähigem Material ins Land schlichen, schlug sie Zeit auf Modenschauen tot, auf denen geistlose junge Weiber mit langen Beinen, die bis zu ihren Silikon-Titten reichten, in Kleidern über den Laufsteg stolzierten, die nicht einmal ihren Hintern verbargen. Er mußte jeden Tag die Welt retten, und seine Frau Gemahlin aß nachmittags mit anderen, überaus begüterten Ladies Kanapees und trank Champagner. Die müßigen Reichen waren in Thornhills Augen genauso dumm wie die ungebildeten Armen. Sie waren noch blöder als Kühe; denen war zumindest halbwegs klar, daß sie nichts zu sagen hatten. Ich bin ein unterbezahlter Beamter, sinnierte Thornhill, und sollte meine
Weitere Kostenlose Bücher