Die Verschwörung
man am nächsten Tag vielleicht tot. Buchanan hatte Thornhill damals als einen vorsichtigen, behutsamen und konzentrierten Menschen eingeschätzt. Ihm nicht unähnlich. Und so hatte er mitgemacht. Um Faith zu retten.
Nun verstand er die Bedeutung von Thornhills Gardisten: Das FBI beobachtete ihn. Tja, es würde bestimmt nicht leicht für sie werden, denn Buchanan bezweifelte ernsthaft, daß sie in Thornhills Liga spielten, wenn es um heimliche Unternehmungen ging. Aber eine Achillesferse hatte schließlich jeder. Die seine hatte Thornhill in Faith Lockhart gefunden. Buchanan fragte sich, was Thornhills Schwäche sein mochte.
Er ließ sich in einen Sessel sinken und musterte das Gemälde an einer Wand der Bibliothek. Es war ein Porträt, Mutter mit Kind. Das Bild hatte fast achtzig Jahre lang in einem privaten Museum gehangen; es stammte von einem der anerkanntesten, doch weniger berühmten Meister der Renaissance. Die Mutter war eindeutig die Beschützerin; das Kind - ein kleiner Junge - konnte sich nicht allein verteidigen. Die wunderschönen Farben, die kunstvoll gemalten Profile, die in jedem einzelnen Pinselstrich erkennbare unterschwellige Brillanz der Hand, welche dieses Bild geschaffen hatte, entzückte jeden Betrachter. Die sanfte Biegung der Finger, die strahlenden Augen ... Jede Einzelheit war dynamisch, voller Leben, und das vierhundert Jahre, nachdem die Farbe gehärtet war.
Es war eine vollkommene und beiderseitige Liebe zwischen Mutter und Kind - eine Liebe, die durch keine heimlichen und zerstörerischen Ziele kompliziert wurde. Das Gemälde war Buchanans kostbarster Besitz. Leider würde er es bald verkaufen müssen und das Haus vielleicht dazu. Das Geld wurde ihm knapp; er mußte die »Pensionskasse« seiner Leute auffüllen. Er hatte sogar ein schlechtes Gewissen, weil er das Gemälde noch immer besaß. Besser gesagt, das Geld, das es repräsentierte. Die Hilfe, die es vielen Menschen bringen konnte. Doch es war erhebend, einfach nur dazusitzen und dieses Kunstwerk zu betrachten. Es war unglaublich beruhigend. Und der Gipfel des
Egoismus. Aber es brachte ihm mehr Freude als alles andere.
Aber vielleicht wurde jetzt alles anders. Er war an einem toten Punkt angelangt, in des Wortes doppelter Bedeutung. Thornhill würde ihn nie aus seinen Krallen entwischen lassen. Buchanan gab sich auch nicht der Illusion hin, daß Thornhill »seine« Leute nach deren Pensionierung in Ruhe lassen würde. Sie waren alle seine Sklaven im Wartestand. Trotz seiner Finesse und seiner gediegenen Art war der CIA-Mann ein Spion. Und waren Spione etwas anderes als wandelnde Lügen? Doch Buchanan hatte die Absicht, seine Abkommen mit den Politikern einzuhalten. Was er ihnen für ihre Hilfe versprochen hatte, würden sie bekommen, ob sie nun in der Lage waren, es zu genießen oder nicht.
Als das flackernde Licht aus dem Kamin über das Gemälde spielte, hatte Buchanan den Eindruck, das Gesicht der Frau nähme die Züge Faith Lockharts an. Es fiel ihm nicht zum erstenmal auf. Sein Blick folgte den Linien ihrer vollen Lippen, die unvermittelt verstockt oder sinnlich werden konnten. Wenn er das schmale, edel geschnittene Gesicht und das goldene Haar betrachtete, mußte er stets an Faith denken. Das Augenpaar der Frau schien den Blick des Betrachters fest zu erwidern; die linke Pupille stand leicht aus der Mitte des Auges heraus und verlieh ihrem Gesicht eine bemerkenswerte Tiefe - und machte die Ähnlichkeit mit Faith noch frappierender. Es war, als hätte dieser kleine Makel die Frau auf dem Bild dazu befähigt, jedermann zu durchschauen.
Buchanan erinnerte sich noch an jede Einzelheit seiner ersten Begegnung mit Faith. Sie war gerade erst vom College gekommen und hatte sich mit der Begeisterung einer frisch geweihten Missionarin ins Leben gestürzt. Sie war Rohmaterial gewesen, in mancher Hinsicht unreif. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, wie Washington funktionierte, und war in jeder Hinsicht erstaunlich naiv gewesen. Andererseits besaß sie eine Präsenz wie ein Filmstar, konnte einen ganzen Raum durch ihre bloße Anwesenheit beherrschen. Sie konnte komisch sein, aber auch in null Komma nichts ernst werden. Sie konnte den Leuten um den Bart gehen und ihre Botschaft übermitteln, ohne aufdringlich zu werden. Nachdem Buchanan sich fünf Minuten lang mit ihr unterhalten hatte, war ihm klar geworden, daß sie besaß, was man brauchte, um es in der Welt zu etwas zu bringen. Nachdem Faith einen Monat in Buchanans Diensten
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