Die Verschwörung
schwaches Glied in der Kette, wenn man erwartete, daß eine von persönlichem Schmerz erfüllte Frau einer Regierungsbehörde half, die nicht einmal genau sagen konnte, unter welchen Umständen der Ehemann dieser Frau ums Leben gekommen war. Aber mehr konnte man nicht tun.
Als Brooke das Haus der erschütterten Anne Newman verlassen hatte - die Kinder waren bei Freunden gewesen -, hatte sie das Gefühl gehabt, daß Anne sie für den Tod ihres Mannes verantwortlich machte. Und als sie zu ihrem Wagen zurückgegangen war, hatte sie nicht bestreiten können, daß Anne in gewissen Weise recht hatte. Das schlechte Gewissen, das Reynolds momentan empfand, war wie ein aggressiver Parasit, der sich in ihre Haut gefressen hatte, oder wie eine Krebszelle, die ihren Leib durchwanderte und eine Stelle suchte, an der sie sich niederlassen und wuchern konnte, um sie irgendwann zu töten.
Vor dem Haus der Newmans war Reynolds auf den FBI-Direktor gestoßen, der ebenfalls gekommen war, um Anne sein
Beileid auszusprechen. Er hatte Reynolds sein tiefempfundenes Mitgefühl für den Verlust ihres Kollegen ausgedrückt. Überdies hatte er ihr mitgeteilt, daß man ihn über ihr Gespräch mit Massey ins Bild gesetzt hatte und er mit ihrem Urteil übereinstimmte. Er hatte ihr allerdings auch deutlich gemacht, daß sie bald mit einem konkreten Ergebnis zu ihm kommen sollte.
Als Reynolds nun einen Blick auf das totale Durcheinander in ihrem Büro warf, hatte sie den Eindruck, als symbolisiere dieses Chaos trefflich die Desorganisation - beziehungsweise Dysfunktion - ihres privaten Lebens. Wichtige Dinge aus vielen ungeklärten Fällen lagen auf dem Schreibtisch und dem kleinen Konferenztisch. Sie waren in Regale gestopft, hatten sich auf dem Boden zu Stapeln gehäuft oder sogar irgendwie einen Weg auf das Sofa gefunden, auf dem Reynolds oftmals schlief, fern von ihren Kindern.
Ohne die Tagesmutter und deren halbwüchsige Tochter hätte sie nicht gewußt, wie die Kinder ein halbwegs normales Leben hätten führen können. Rosemary, eine wunderbare Frau aus Mittelamerika, liebte die Kinder ebenso wie sie und war eine Fanatikerin in Sachen Sauberkeit, Kochen und Waschen. Rosemary kostete Brooke mehr als ein Viertel ihres Gehalts, war aber jeden Cent mehr als wert. Doch wenn die Scheidung erst mal durch war, wurde es eng. Brookes Exmann würde nämlich keine Alimente zahlen. Sein Beruf als Modefotograf war zwar lukrativ, aber er arbeitete unregelmäßig und manchmal aus eigenem Entschluß mehrere Monate gar nicht. Brooke konnte sich glücklich schätzen, wenn es nicht dazu kam, daß sie für ihn blechen mußte. Daß er die Kinder unterstützen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Eher ließ er sich »Papa ist pleite« auf die Stirn tätowieren.
Brooke warf einen Blick auf die Armbanduhr. Das FBI-Labor untersuchte zur Zeit das Videoband. Da die Existenz ihrer »Sondereinheit« nur wenigen ausgewählten Angehörigen des FBI bekannt war, mußte jede Laborarbeit unter dem Namen eines erfundenen Falles mit einem erfundenen Aktenzeichen eingereicht werden. Es wäre zwar schön gewesen, ein eigenes Labor und eigene Leute zu haben, aber das hätte zu Ausgaben geführt, die im FBI-Budget nicht vorgesehen waren. Selbst die Elite der Verbrechensbekämpfer mußte mit dem auskommen, was der Staat ihr zugestand. Normalerweise hätte ein Verbindungsagent in der Hauptstelle mit Reynolds’ Team zusammengearbeitet, um Laboreinsendungen und andere Funde mit ihr zu koordinieren. Doch sie hatte keine Zeit für den Dienstweg. Sie hatte die Kassette persönlich im Labor abgeliefert und mit dem Segen ihres Vorgesetzten eine sehr hohe Dringlichkeitsstufe erhalten.
Nach der Begegnung mit Anne Newman war sie nach Hause gefahren, hatte so lange wie möglich mit ihren Kindern geschmust, geduscht, sich umgezogen und war gleich wieder zur Arbeit gefahren. Die ganze Zeit war ihr das verdammte Videoband nicht aus dem Kopf gegangen. Und wie als Antwort auf ihre Gedanken klingelte das Telefon.
»Ja?«
»Kommen Sie lieber rüber«, sagte der Mann. »Und damit Sie’s gleich wissen - wir haben keine guten Nachrichten.«
KAPITEL 13
Faith erwachte schlagartig. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war fast sieben. Lee hatte darauf bestanden, daß sie ein wenig schlief, doch sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie so fest einschlafen würde. Sie setzte sich hin. Sie war völlig benebelt, sämtliche Knochen taten ihr weh, und als sie die Beine über die Bettkante
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