Die verschwundene Frau
niemand sich in den zwei Tagen, die er dort gestanden hatte, die Mühe gemacht hatte, die Reifen abzumontieren. Und das Dröhnen meines Auspuffs fügte sich perfekt in die Geräuschkulisse der frisierten Autos in der Gegend ein. Die Rostlaube war definitiv eine bessere Wahl gewesen als ein Jaguar Kabrio oder irgendein anderes teures Importauto. Ich hielt vor der Tür von Special-T. Heute konnte ich nirgends ein Licht entdecken, aber ich würde mir die Sache auch nicht genauer anschauen, weil ich noch nicht in der Verfassung war, in die nächste Falle zu laufen.
Ich stellte den Wagen ein paar Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt ab. Jetzt, wo Alex Lemour erzählen konnte, dass ich wieder aufgetaucht war, musste ich auf der Hut sein. Da ich nichts Verdächtiges sah, schaute ich noch auf einen Plausch bei Mr. Contreras und den Hunden vorbei. Mein Nachbar hatte den LifeStory-Bericht über Lucian Frenada erhalten, den ich am Samstag nachmittag an ihn geschickt hatte. Ich hatte völlig vergessen, ihm davon zu erzählen, erklärte ihm aber nun, wie wichtig er war.
»Wollen Sie, dass ich ihn bei mir aufbewahre, Schätzchen? Kein Problem.«
»Sie haben sicher noch nicht vergessen, wie Sie vor ein paar Jahren angeschossen wurden, als Sie mir helfen wollten, oder? Ich will nicht, dass so etwas wieder passiert. Außerdem muss ich ein paar Kopien davon machen und die so schnell wie möglich an die richtigen Leute schicken.«
Mr. Contreras versicherte mir zwar, dass er durchaus willens sei, es mit jedem Schläger aufzunehmen, aber ich brachte den Bericht trotzdem zu mir. Hätte ich doch nur mit jemandem über den Bericht oder die potentielle Verbindung zwischen Baladine und Lemour oder auch nur über die Story sprechen können, die Murray gerade über Frenada ausarbeitete. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt, wie abhängig ich im Lauf der Jahre von Murray geworden war. Dies war der erste größere Fall, den ich ohne seine Mithilfe lösen musste. Und dabei hätte ich die dringend gebraucht. Das hier war ja nicht einmal ein richtiger Fall, sondern so etwas wie ein Hexenkessel, in den ich unversehens gestolpert war.
Plötzlich kam mir Morrell in den Sinn. Der hatte zwar nicht Murrays Kontakte zu den Chicagoer Politikern, aber er wusste Bescheid über Nicola Aguinaldos Welt. Vishnikov hatte für ihn gebürgt. Und meines Wissens hatte niemand eine Ahnung, dass ich mich mit ihm unterhalten hatte.
Ich suchte seine Privatnummer aus meinem elektronischen Notizbuch, aber als ich sie wählte, fiel mir wieder ein, wie ungern er sich am Telefon unterhielt. Wenn BB Baladine mir tatsächlich im Nacken saß, konnte es sein, dass er mein Telefon oder sogar meine Wohnung abhörte. Das erklärte vielleicht, warum ich draußen niemanden entdeckt hatte, der mich überwachte: Wenn sie wussten, dass sie mich zu Hause auf jeden Fall erwischen würden, konnten sie mich immer abfangen, wenn ich wegging, ohne vierundzwanzig Stunden am Tag einen Mann für mich abstellen zu müssen.
Ich mache mir wirklich nicht gern Gedanken über alles, was ich sage oder tue, hielt es aber für besser, eine Mozart-CD in mein Stereogerät zu schieben und die Sportsendung im Fernsehen einzuschalten, wo gerade über ein Spiel der Cubs berichtet wurde, bevor ich die Nummer schließlich wählte. Es war gar nicht so leicht für Morrell, mich bei dem Lärm zu verstehen, aber als es ihm schließlich glückte, erklärte er sich gern bereit, sich auf einen Drink mit mir zu treffen.
Wenn ich mit meiner Vermutung, dass Baladine mich nicht durch einen Mann auf der Straße beschatten ließ, recht hatte, konnte ich die Wohnung vermutlich verlassen, vorausgesetzt, ich tat es leise. Ich wartete, bis das Gebrüll der Fans in Wrigley Field besonders laut war, und schlüpfte dann barfuss aus der Wohnung, um auf dem oberen Treppenabsatz keinen Lärm zu machen. Eine Stunde später war ich im Drummers in Edgewater.
Als ich für Morrell eine komische Geschichte daraus machte, wie ich die Wohnung verlassen hatte, lachte er nicht. »Das ist das Problem, wenn man Angst vor der Polizei haben muss: Man weiß nicht, ob man sich zum Narren macht oder nur ganz vernünftig und vorsichtig ist.«
»Mein Vater war Polizist und ein guter, ehrlicher Mensch. Das gleiche gilt für seine Freunde. Manche von ihnen arbeiten immer noch für die Polizei.«
Ich musste an Frank Siekevitz denken. Den hatte Dad ausgebildet. Wir waren früher immer zu dritt zu Baseballspielen gegangen. Siekevitz hatte bei der
Weitere Kostenlose Bücher