Die verschwundene Frau
Aufnahme morgen schicken, möchte sie aber zuerst noch kopieren. Ich weiß nicht so recht, wie viele von meinen Telefongesprächen möglicherweise mitgehört worden sind. Ich denke, sie haben das Gespräch mit meinem Kunden darüber, dass ich die Stadt verlassen würde, mitbekommen und die Zeit genutzt, Drogen in meinem Büro zu verstecken. Wenn sie auch gehört haben, wie ich am Samstag abend eine Nachricht für Rieff hinterlassen habe, werden sie zu ihm gehen oder versuchen, mich aufzuhalten, oder dafür sorgen, dass er das Tape nicht bekommt. Dann wäre da noch eine Kopie von einem Bericht über Lucian Frenadas Finanzen. Global will sich auf ihn stürzen - morgen abend in Murray Ryersons Sendung -, aber ich habe Beweise dafür, dass er kein Drogenmillionär ist. Ich möchte so viele Fotokopien davon wie möglich, damit die Sache an die Öffentlichkeil kommt.«
»Gut.« Morrell streckte mir die Hand entgegen. »Darum kümmere ich mich. Was soll ich mit den Kopien machen?«
»Von dem Videotape? Eine davon an meinen Anwalt schicken, das Original an Rieff, damit der versuchen kann, die Stimme des Mannes herauszufiltern, mit dem Lemour sich am Telefon unterhalten hat. Eine an Murray Ryerson. Und der Bericht über Frenada soll an dieselben Leute gehen und außerdem noch an ein paar Journalisten, die ich kenne - ich kann Ihnen die Namen auf eine Liste schreiben.«
»Wie haben Sie Lemour denn mit der Videokamera aufnehmen können, wenn Sie mit Handschellen gefesselt waren?«
»Carnifice Security ist nicht der einzige Sicherheitsdienst, der High-Tech-Spielzeug einsetzt.« Ich erzählte ihm von der Videobrille, während ich ihm die Namen der Journalisten auf die Rückseite eines alten Parkzettels schrieb.
»Einmal habe ich geholfen, Informationen über Folterungen durch die brasilianische Geheimpolizei zu fotokopieren«, sagte Morrell. »Das Projekt wurde vom Erzbischof von Rio organisiert. Es war schrecklich; wir mussten immer nach den Bürostunden reinschlüpfen, um die Unterlagen zu kopieren und wieder zurückzubringen, und durften uns dabei nicht erwischen lassen. Da hätten wir eine solche Brille gut gebrauchen können. Wollen Sie wirklich nach Hause fahren?« fügte er hinzu, als der Kellner die Rechnung brachte. »Sie könnten auch bei mir übernachten - ich habe ein Gästezimmer.«
Der Gedanke, steh keine Sorgen darüber machen zu müssen, wer mir vielleicht vor meiner Haustür auflauerte, war verlockend. Außerdem war da noch diese Vorstellung, wie er mit seinen langen Fingern meinen Körper berührte - meinen zerschlagenen Körper. Nun, vielleicht hatte er ja eine Geliebte oder einen Geliebten und würde eine erschöpfte Detektivin über vierzig ohnehin nicht sexy finden.
Lotty hatte einmal, als sie mir aus der Patsche half, fast das Leben verloren, und Mr. Contreras war meinetwegen angeschossen worden. Conrad hatte mich nach einem ganz ähnlichen Vorfall verlassen. Ich wollte nicht, dass wieder jemand verletzt wurde, weil er mir half, auch wenn ich diesen Jemand nicht sonderlich gut kannte. Also bedankte ich mich für sein Angebot und lenkte den dröhnenden Skylark in Richtung Süden, nach Hause.
Wenn du nicht schwimmen kannst, dann halt dich von den Haien fern
Ich hatte Lotty auf dem Heimweg von einer öffentlichen Telefonzelle aus angerufen, um ihr zu sagen, dass ich noch am Leben sei und sie mich bitte nur wegen harmloser Dinge anrufen solle. Sie war nicht sonderlich begeistert darüber, aus dem Schlaf gerissen zu werden - es war schon nach elf -, und nahm meine Bitte mit der ziemlich knappen Äußerung auf, ich solle nicht so melodramatisch sein. Melodramatisch und tollkühn: keine besonders angenehmen Adjektive, wenn sie im Zusammenhang mit der eigenen Person verwendet werden.
Mr. Contreras schließlich schickte Peppy mit zu mir hinauf, damit sie mir ein bisschen Trost und Sicherheit während der Nacht spendete, denn ich hatte immer noch Angst, dass jemand bei mir eindringen könnte.
Als ich das Licht ausschaltete, klingelte das Telefon. Ich holte tief Luft, um mich gegen das zu wappnen, was mich da wieder erwarten mochte, und meldete mich: »Warshawskis Vierundzwanzig-Stunden-Detektei.«
»Miss Warshawski?«
Eine Kinderstimme, die ausgesprochen nervös klang. »Ja, ich bin's, V. l. Warshawski. Was ist, Robbie?«
»Ich versuch' schon den ganzen Abend, Sie zu erreichen. Fast hätte ich's aufgegeben. Zuerst wollte ich Ihnen nur sagen, was mit BBs Schuhen ist - Sie haben mich doch gefragt, ob da
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