Die verschwundene Frau
potentiellen Feinden. Nach fünfzig Jahren Kaltem Krieg sind unsere Reflexe so sensibel geworden, dass wir sogar anfangen, uns gegen unsere eigenen Bürger zu wenden. Wenn ich nach Hause komme, möchte ich mich eigentlich entspannen, aber es ist gar nicht so leicht, die Gewohnheiten abzulegen, die mir in neun von zwölf Monaten helfen zu überleben. Und was Sie angeht: Sie haben die Drogen in Ihrem Büro tatsächlich gefunden. Und Lucian Frenada ist wirklich tot.«
Da fiel mir plötzlich wieder Robbie Baladines Anruf ein. »Es ist etwas Merkwürdiges an seinem Tod. Könnten Sie Vishnikov anrufen und ihn bitten, die Obduktion selbst durchzuführen? Nur für den Fall, dass sich irgendein nur den Eingeborenen von Papua bekanntes Gift in Frenadas Körper befindet.«
Er grinste. »Sie stehen die Sache schon durch, Vic, wenn Sie noch darüber lachen können.« Ein bisschen verlegen fügte er hinzu: »Sie haben schöne Beine, trotz der blauen Flecken.«
Dann ging er abrupt zu seinem Wagen, als könnte ihn dieses Kompliment verletzlich machen. Als ich ihm ein Danke nachrief, verabschiedete er sich mit einem Lächeln und einem Winken von mir. Doch plötzlich gab er mir ein Zeichen, dass ich zu ihm kommen solle.
»Das habe ich völlig vergessen. Wenn wir schon James Bond spielen, sollten wir uns eine bessere Möglichkeit Kontaktaufnahme ausdenken. Hätten Sie heute abend Lust, mit mir zum Essen zu gehen? Kennen Sie ein Restaurant, in dem wir uns treffen könnten?«
Ich schlug das Cockatrice vor, eins der Lokale, die erst vor kurzem am Wicker Park aus dem Boden geschossen waren. Es war zu Fuß nicht weit von meinem Büro entfernt, wo ich den Nachmittag damit verbringen wollte, die Akten zu ordnen. Aber zuerst musste ich noch ein paar andere Dinge erledigen.
Einem Reporter auf der Spur
Murray war nicht im Herald-Star, hatte aber inzwischen eine Assistentin, so dass ich mich zumindest nicht mehr mit seinem Anrufbeantworter unterhalten musste. Als ich ihr sagte, dass ich wichtige. Informationen zu der Frenada-Story hatte und dies auch anhand von Details belegen konnte, verriet sie mir, dass Murray zu Hause arbeitete.
»Wenn Sie mir Ihre Nummer hinterlassen, gebe ich sie ihm durch, sobald er hier anruft, um die Nachrichten für ihn abzufragen«, versprach sie mir.
Ich sagte ihr, ich werde später noch einmal anrufen, und gab ihr meinen Namen nicht.
Dann zog ich eine saubere Jeans und ein rotes Top an und holte die Smith & Wesson aus der Bauchtasche. Ich wog sie in der Hand und überlegte, ob ich sie mitnehmen sollte oder nicht. In meiner gegenwärtigen Stimmung kam ich vielleicht noch auf die Idee, Murray damit zu bedrohen, aber mit dem Risiko musste er leben: Ich fühlte mich einfach sicherer mit der Waffe. Also steckte ich sie in ein Beinholster, wo ich sie nur unter Mühen erreichen konnte. Die Riemen schnitten mir in den Unterschenkel.
Niemand hielt mich auf dem Weg zu dem Skylark auf. Ich sah immer wieder in den Rückspiegel, während ich zum Lake Shore Drive fuhr, aber wenn mir tatsächlich jemand folgte, dann machte er das perfekt. Ich machte noch einen Umweg nach Downtown zu meiner Bank, wo ich eine Kopie des LifeStory-Berichts über Frenada in mein Schließfach steckte. Hinterher schaute ich bei Tessas Mutter an der Gold Coast vorbei, wo ich dem Portier den Zweitschlüssel zum Schloss an meinem Büro gab, damit auch Tessa hineinkonnte, wenn sie wieder da war.
Ich machte mir nicht die Mühe, in der Nähe von Murrays Wohnung nach einem Parkplatz Ausschau zu halten, weil es dort sowieso nie einen gab. Statt dessen stellte ich den Skylark in der kleinen Straße hinter dem Gebäude ab, direkt unter einem Schild mit der Aufschrift: WIDERRECHTLICH ABGESTELLTE
FAHRZEUGE WERDEN ABGESCHLEPPT. Sollten sie doch.
Murray lebt in einer Sechszimmerwohnung mit Kamin, Marmormosaikfußboden im Eingangsbereich und all den anderen Dingen, die ein Mensch so hat, wenn er sich ein Mercedes Kabrio leisten kann. Die Klingel war aus hochglanzpoliertem Messing und befand sich auf einem Klingelbrett aus Kirschholz.
Als ich Murrays Stimme über die Gegensprechanlage hörte, sagte ich mit verstellter Stimme: »Eine Blumenlieferung für Ryerson.«
Wir halten uns alle für so besonders, dass uns eine unerwartete Blumenlieferung nicht überrascht. Murray drückte auf den Türöffner. Als ich im ersten Stock ankam, hörte ich schon ein Lied von Sinead O'Connor aus seinem Wohnzimmer dringen. Murray wirkte überrascht, aber nicht unbedingt
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