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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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wollten. Abgesehen davon, dass sie mich offensichtlich durch genau diese Ungewissheit zum Wahnsinn treiben wollten. Nach dem Bad schenkte ich mir einen Whiskey ein und ging zu Mr. Contreras hinunter. Ich hatte vor, ihn dazu zu überreden, dass er untertauchte, bis diese unselige Geschichte irgendwie ein Ende gefunden hätte. Als er mir die Tür öffnete, legte ich ihm eine Hand auf den Mund und dirigierte ihn durch seine Wohnung zum Innenhof. Das Paar im ersten Stock stand mit Gästen auf dem Balkon. Freundliches Lachen und das beruhigende Klappern von Gläsern drangen zu uns herunter. Im Schutz dieser Geräuschkulisse erklärte ich Mr. Contreras, dass jemand Mary Louise bedroht hatte und ich nicht wollte, dass es ihm genauso erginge.
    »Ich möchte nicht, dass Sie ein leichtes Ziel für BB Baladine werden«, sagte ich mit eindringlicher Stimme. »Was ist, wenn er plötzlich nachforscht, wer mich nach Coolis begleitet hat? Soweit ich weiß, hat eine Videokamera uns aufgenommen - besonders schlau war das nicht von mir, ich weiß. Ich habe mich sofort in die Sache reingestürzt, ohne vorher nachzudenken. Es tut mir leid, dass ich Sie auch in Gefahr gebracht habe. Sie hatten schon recht, als Sie Ihren Namen nicht in die Liste eintragen wollten.«
    »So leicht jagt man Ihnen aber normalerweise keine Angst ein, Schätzchen.«
    »Nun, so oft habe ich es auch nicht mit Leuten zu tun, die das Aufspießen von Neugeborenen für alltägliche Arbeit halten. Würden Sie mir einen Gefallen tun und zu Ihrer Tochter fahren, bis diese Aguinaldo-Geschichte vorbei ist?«
    Natürlich wollte er das nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass seine einzige Tochter und er ungefähr soviel gemein hatten wie ein Hund und ein Fisch, beabsichtigte er nicht, nun einen Rückzieher zu machen. Dann fragte er mich, ob ich ihm denn nie zuhöre, wenn er von Anzio erzähle.
    »Mein Gott!« rief ich aus, so dass die Leute auf dem Balkon einen Augenblick lang erschreckt schwiegen. »Damals in Anzio waren Sie kaum älter als zwanzig. Vielleicht haben Sie heute immer noch den Willen von damals, aber nicht mehr die Kraft. Und wenn dieser Typ merkt, wie eng wir befreundet sind, was er über kurz oder lang tut, dann weiß er, dass Sie mich nach Coolis begleitet haben, nicht Nicola Aguinaldos Großvater.«
    Wir stritten uns ungefähr eine Stunde lang, doch ich brachte Mr. Contreras nur dazu, irgendwann zu sagen: »Na schön, ich mache niemandem auf, den ich nicht kenne, wenn Sie nicht da sind, aber selbst wenn ich nicht mehr der Gleiche bin wie damals mit zwanzig, kann ich immer noch auf mich selbst aufpassen und muss mich nicht wie ein Feigling bei meiner Tochter verkriechen.«
    Am Donnerstag morgen stand ich früh auf, ging mit den Hunden ausführlich zum Schwimmen und machte mich dann auf den Weg nach Coolis. Obwohl ich nicht einmal eine Essenspause einlegte, erschien mir die Fahrt diesmal länger als eine Woche zuvor mit Mr. Contreras. Trotzdem kam ich vor Mittag am Gefängnis an und stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab.
    Ich hatte mich geschäftsmäßig gekleidet und trug meinen sandfarbenen Hosenanzug. Natürlich waren nach der langen Fahrt in dem Wagen ohne Klimaanlage Schwitzflecken unter meinen Achseln, aber meiner Ansicht nach sah die Vorderseite meiner weißen Bluse immer noch ordentlich genug aus, um Eindruck zu machen. Ich hatte die Aktentasche dabei, die mein Dad mir zum Abschluss des Jurastudiums geschenkt hatte. Sie ist mittlerweile fast zwanzig Jahre alt, und das rote Leder ist abgegriffen und an den Ecken pink-weiß. Damit sie noch ein bisschen hält, benutze ich sie nicht oft, aber heute wollte ich das Gefühl haben, dass mein Vater mich begleitete.
    Die Sonne brannte auf mich herunter, als ich über den Asphalt zum ersten Wachhäuschen ging. Draußen konnte ich die Grashüpfer hören, die in dem hohen Gras herumschwirrten, doch innerhalb des Gefängnisses gab es keine Bäume und kein Gras, die die flirrende Hitze ein bisschen gelindert hätten. Die weißen Wände waren so hell, dass meine Augen sogar hinter der Sonnenbrille zu tränen anfingen.
    Ich blieb am ersten Wachhäuschen stehen, zeigte meinen Ausweis und erklärte, ich sei Anwältin und wolle mit einer der Insassinnen sprechen. Am zweiten Häuschen wurde meine Aktentasche nach Waffen durchsucht. Dort musste ich vierzig Minuten warten, bis ich zum Gefängniseingang eskortiert wurde. Die Aufseherin, die mich schließlich abholte, war eine kleine, rundliche Frau, die mit dem Wachmann

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