Die verschwundene Frau
scherzte, aber zu mir kein Wort sagte.
Am Eingang öffnete sich die automatische Tür lautlos. Nun standen wir vor einer weiteren Tür, die erst aufgehen würde, wenn sich die hinter uns wieder geschlossen hatte. Drinnen wurde ich dann zu einer weiteren Wachstation geführt, wo ich erklärte, aus welchem Grund ich gekommen war: Ich sei Anwältin und hier, um mit Veronica Fassler zu sprechen.
Nun wurde ich in ein Wartezimmer geschickt, einen kleinen, fensterlosen Raum mit Plastikstühlen, abgetretenem Linoleum und einem Fernseher, der hoch oben an der Wand befestigt war und aus dem Oprah Winfrey mir und den anderen drei Frauen in dem Zimmer etwas entgegenbrüllte.
Zwei der wartenden Frauen waren schwarz, die einzigen farbigen Gesichter, die ich seit Betreten des Gefängnisgeländes gesehen hatte; alle drei starrten stumpf vor sich hm, als wären sie es gewöhnt, von ihrer Umwelt nicht wahrgenommen zu werden. Hin und wieder schaute eine Aufseherin herein. Als ich sie bat, die Lautstärke des Fernsehers herunterzudrehen, weil niemand von uns die Sendung verfolgte, sagte sie, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, und verschwand wieder.
Gegen halb zwei wurde die ältere der beiden schwarzen Frauen ins Besucherzimmer gebracht. Dann kamen zwei weitere Leute - ein Hispano-Paar mittleren Alters, beide nervös, die wissen wollten, was sie zu erwarten hätten, wenn sie ihre Tochter sähen. Die weiße Frau starrte weiter stumpf vor sich hin, doch die zweite schwarze Frau erklärte dem Paar alles, wo man saß und worüber man sich unterhalten durfte. Es fiel den beiden schwer, ihren Ausführungen beim Lärm des Fernsehers zu folgen. Als sie gerade etwas zum drittenmal wiederholte, kam die Aufseherin, um mich zum Büro des Gefängnisdirektors zu bringen.
CAPTAIN FREDERICK RUZICH, DIREKTOR, stand auf dem Schild an seiner Tür. Die Aufseherin salutierte; der Gefängnisdirektor sagte ihr, sie könne gehen, und bot mir einen Stuhl an. Trotz seines militärischen Ranges trug er Zivilkleidung, einen hellen Tropenanzug aus Kammgarn und dazu eine marineblaue Krawatte. Er war ziemlich groß und kräftig; selbst im Sitzen schien er mich noch zu überragen. Mit seinen grauen Haaren und Augen wirkte er fast farblos, ja einschüchternd.
»Man hat mir gesagt, Sie wollen mit einer unserer Insassinnen sprechen, Miss... «
»Warshawski. Ja. Mit Veronica Fassler. Sie verbüßt eine fünfjährige Haftstrafe wegen eines Eigentumsdelikts und... «
»Sie sind also vertraut mit ihrem Fall. Ich dachte schon, Sie sind zum Mandantenangeln hergekommen.« Dabei lächelte er, allerdings so herablassend, dass die Äußerung zur Beleidigung wurde.
»Niemand fährt ins Gefängnis, um Mandanten zu werben, Captain. Die finanzielle Unterstützung des Staates deckt nicht einmal das Benzingeld und die Mautgebühren für die Strecke von Chicago hierher. Interessieren Sie sich für alle Gespräche zwischen Anwalt und Insassin hier in Coolis?«
»Für die wichtigen schon. Haben Sie sich mit Veronicas Hauptanwalt über den Fall unterhalten? Ich hätte schon erwartet, dass er Sie begleitet oder uns zumindest in Kenntnis setzt, wenn er eine Vertreterin schickt.«
»Ms. Fassler hat in meinem Büro angerufen und mich gebeten, zu ihr zu kommen. Dazu hat sie das Recht.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lächelte mich s pöttisch an. »Wie dem auch sei, wir hatten jedenfalls Anweisung, sie zu verlegen. Sie ist jetzt in einem anderen Teil des Gefängnissystems. Das heißt, Sie sind völlig umsonst hier herausgefahren, Detective.«
Ich hielt seinem Blick stand. »Ja, ich bin Detektivin, Captain. Aber ich bin auch Anwältin und habe gute Verbindungen zu den Kollegen in Illinois. Wohin haben Sie Ms. Fassler verlegt?«
»Das würde ich Ihnen gern verraten, aber ich kann es nicht, weil ich es selbst nicht weiß. Carnifice Security hat jemanden mit einem Transporter hergeschickt und sie gestern zusammen mit dem Kind abgeholt. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.« Seine grauen Augen wirkten jetzt mehr denn je wie die eines Fisches.
»Warum ist sie verlegt worden? Davon hat sie nichts erwähnt, als sie mich angerufen hat.«
Wieder dieses herablassende Lächeln. »Es gibt immer Probleme, wenn eine Insassin ein Baby hat. Die Logistik hier ist für so etwas nicht geeignet. Vermutlich haben sich die anderen Gefangenen beschwert.«
»Das ist aber schön, dass die Beschwerden der Insassinnen so
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