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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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ich sie und ihre Familien nicht in Gefahr bringen wollte. Murray, mit dem ich so viele Jahre zusammengearbeitet hatte, war diesmal auf der Gegenseite. Und Mary Louise hatte so viel Angst um die Kinder, dass sie mir nicht mehr helfen wollte.
    Wenn es mir nur gelänge, Licht in die Geschichte zu bringen, würde ich es schon schaffen, sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Sache hatte etwas mit Coolis und Frenadas Fabrik zu tun, obwohl ich nicht begriff, welche Verbindung zwischen Nicola Aguinaldo und den beiden bestand. Ich musste Kontakt mit Morrell aufnehmen und ihn davon überzeugen, dass er mich zu Nicolas Mutter führte, bevor Baladine seinen Plan in die Tat umsetzte.
    Als ich schließlich aus der Wanne stieg, war es draußen schon dunkel. Ich hörte das Knallen von Feuerwerkskörpern, die die Leute schon jetzt anlässlich der Feiern zum Vierten Juli, dem Unabhängigkeitstag, hochschossen, die am Samstag stattfinden sollten.
    Als ich noch ein Kind gewesen war, hatte mein Vater an diesem Tag immer einen Spaziergang mit mir gemacht und mir eine aufregende Version des Unabhängigkeitskrieges erzählt. Dabei hatte er für gewöhnlich die Rolle von General Kosciuszko und anderer Polen hervorgehoben. Meine Mutter hatte uns daraufhin daran erinnert, dass Italiener die Neue Welt entdeckt und es so den Engländern und Polen erst ermöglicht hatten, Europa zu verlassen.
    Am Nachmittag hatten wir dann meist zusammen mit den Polizeikollegen meines Vaters und der Gesangslehrerin meiner Mutter sowie deren Tochter ein Picknick gemacht. Meine Mutter hatte zu diesem Anlass meine Lieblingsnachspeise gekocht - ein umbrisches Reisgericht mit Johannisbeergelee und süßer Weinsauce -, und ich war mit den anderen Kindern herumgerannt und hatte Baseball gespielt. Dabei hatte ich mir immer gewünscht, eine große Familie zu haben, nicht nur meinen einzigen Cousin Boom-Boom.
    Ich fragte mich, was die Baladines ihren Kindern anlässlich des Vierten Juli beibrachten. Vielleicht irgend etwas Nützliches über die freie Marktwirtschaft.
    Mit diesem bitteren Gedanken legte ich mich ins Bett. Aber trotz meiner Müdigkeit kam ich nicht zur Ruhe. Coolis, Nicola Aguinaldo und Frenada - sie alle rasten durch meinen Kopf, manchmal verfolgt von Baladine, manchmal von Alex Fisher. Gerade wollte ich aufstehen, um Überweisungen auszuschreiben, statt mich sinnlos im Bett hin und her zu wälzen, als es klingelte.
    Auch in Chicago gibt es keine wohlmeinenden mitternächtlichen Besuche. Also schlüpfte ich in meine Jeans und holte meine Waffe aus dem Schranksafe, bevor ich die Gegensprechanlage betätigte.
    Eine Stimme quäkte: »Ich bin's, Robbie Baladine.«
    Ich steckte die Waffe hinten in meinen Hosenbund und ging nach unten. Ja, da stand Robbie Baladine tatsächlich ganz allein vor der Tür. Seine runden Backen waren dreckverschmiert, und er sah erschöpft aus. Ich öffnete die Tür im selben Augenblick, als Mr. Contreras zusammen mit Mitch und Peppy in den Flur kam: Wahrscheinlich dachte er, dass Morrell mir wieder einen nächtlichen Besuch abstattete.
    Als die Hunde auf Robbie losstürzten, um ihn zu begrüßen, blieb dieser wie angewurzelt stehen und wurde kreidebleich. Ich rief die Hunde zurück und fing den Jungen auf, der gerade zusammenzusacken begann.
    »Bringen Sie die Hunde rein, ja?« sagte ich zu Mr. Contreras. »Und dann müssen wir sehen, dass wir den jungen Mann hier wieder auf die Beine kriegen.«
    Robbie war nicht richtig in Ohnmacht gefallen. Während Mr. Contreras die widerstrebenden Hunde in seine Wohnung zurückzog, half ich Robbie zum Fuß der Treppe und sagte ihm, er solle sich auf die unterste Stufe setzen und den Kopf zwischen die Knie legen. Sein ganzer Körper bebte, weil er sich bemühte, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Seine Haut war schweißnass; der Schweiß roch nach Angst.
    »Mein Gott, was bin ich doch für ein Schwächling, dass ich umkippe, wenn ich 'nen Hund sehe«, keuchte er.
    »Nun, weißt du, Mitch ist ziemlich groß, und du warst nicht darauf gefasst, dass er aus der Wohnung springt. Außerdem siehst du ziemlich fertig aus. Mach dir also darüber mal keine Gedanken.«
    Mr. Contreras kam mit einem alten Pullover zurück und half mir, ihn Robbie über die Schultern zu hängen. »Ist das ein Freund von Ihnen, Schätzchen? Was der braucht, ist heiße Schokolade. Bleiben Sie hier bei ihm, dann mache ich Milch heiß.«
    Wieder ging die Tür gegenüber von Mr. Contreras' Wohnung auf, und die Frau von vorhin

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