Die verschwundene Frau
aushalte. Das Lager für die dicken Kinder damals war schon schlimm genug, aber wenigstens hatten da alle Übergewicht. Doch im Militärlager hänseln einen die anderen, dass man schwul oder irgendwie anders ist. Das ist, wie wenn ich einen Monat bei meinen Cousins verbringen muss. Die spielen Fußball und sollen mich härter machen.«
»Ist das denn schon fest ausgemacht?«
»Ja.« Er sah mich traurig an. »Bitte sagen Sie mir jetzt nicht, dass es falsch ist, in seiner Aktentasche rumzuschnüffeln. Anders kriege ich doch nicht raus, was er vorhat. Jedenfalls habe ich da das Fax von diesem Lager in South Carolina gesehen - natürlich wollen alle, die irgendwas mit Gefängnissen und dem Militär zu tun haben, BB helfen. Tja, da ist dieser Typ, der ist der Leiter der Militärschule und macht ein Sommerlager für Rekruten. Er hat BB gefaxt, dass sie mich am Samstag abend erwarten; am Montag morgen kann ich dann anfangen. BB und Eleanor können mich einfach in einen Flieger nach Columbia setzen, wenn sie selber nach Frankreich fliegen. Nicht, dass ich unbedingt mit diesen schrecklichen Poilevy-Zwillingen und meinen Schwestern nach Frankreich reisen und ihnen den ganzen Tag beim Schwimmtraining zuschauen will. Die bereiten sich da nämlich auf eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit Wettbewerb vor, die Mom am Labor Day organisiert, und natürlich will sie, dass Madison gewinnt. Aber ich würde noch lieber die Zeit für Madison und Rhiannon Trant stoppen, als in dieses Militärlager zu fahren.«
»Du bist doch schon vorletzten Abend weggelaufen, oder? Wo hast du dich denn in der Zwischenzeit herumgetrieben?«
Er betrachtete seine Hände. »Ich hab' mich auf unserem Grundstück versteckt. Wenn BB und Eleanor schlafen gegangen sind, habe ich im Gartenhäuschen übernachtet. Aber heute morgen haben mich die Gärtner gefunden, und ich hatte Angst, dass sie Eleanor Bescheid sagen.«
»Deine Eltern suchen nach dir - daher weiß ich auch, dass du weggelaufen bist. Meinst du, dass sie sich an die Polizei wenden, oder werden sie sich voll und ganz auf den Sicherheitsdienst von deinem Vater verlassen?«
»Mein Gott, bin ich dumm, daran habe ich überhaupt nicht gedacht«, murmelte Robbie. »Ich wollte nur so schnell wie möglich weg. Natürlich wird er mir seine ganze Mannschaft auf den Hals hetzen. Eigentlich ist es ihm gar nicht so wichtig, dass sie mich finden, aber es ärgert ihn, wenn ihn jemand austrickst.«
»Tja, du hast das ziemlich clever gemacht«, sagte ich. »Hast dich zwei Tage lang sozusagen direkt vor der Nase deiner Eltern versteckt. Und dann hast du mich aufgespürt, was für einen Jungen aus den Vororten, der sonst immer mit dem Auto überallhin chauffiert wird, gar nicht so leicht ist.
Allerdings haben wir ein Problem: Es macht mir nichts aus, dich bei mir unterzubringen, aber dein Vater hat mich auf dem Kieker, und wenn er hierherkäme, könnte ich ihn nicht daran hindern, dich mitzunehmen. Du bist minderjährig, und ich bin nicht mit dir verwandt. Könntest du zu irgend jemandem, der deinem Vater widersprechen würde? Vielleicht zu einer Lehrerin oder einer Tante? Oder zu deinen Großeltern?«
Er schüttelte traurig den Kopf. »Nein, ich bin wirklich ein Außenseiter in meiner Familie. Sogar meine Großmutter sagt zu BB, dass er mir zuviel durchgehen lässt. Wenn ich bei ihr auftauche, bringt sie mich höchstpersönlich in dieses Militärlager.«
Mr. Contreras räusperte sich. »Er könnte bei mir übernachten, Schätzchen. Ich habe ein ausziehbares Sofa.«
Robbie wurde blass, sagte aber nichts.
»Hast du Angst vor den Hunden?« fragte ich ihn. »Sie sehen ziemlich wild aus, weil sie so groß sind, aber sie sind wirklich ganz friedlich.«
»Ich weiß, dass es feige ist, vor Hunden Angst zu haben«, sagte er mit leiser Stimme, »aber... einer von BBs Kunden arbeitet mit Rottweilern, und der hat gedacht, es ist sicher lustig... alle haben gelacht... Nicola hat versucht, die Hunde zu vertreiben, und einer hat sie gebissen.«
»Was war mit den Rottweilern?« fragte ich entsetzt.
»Er hat sie mit nach Hause gebracht, und den Trainer gleich dazu. Das war damals, als er die Leitung von Carnifice übernommen hat. Ein Guter hält's aus, und um einen Schlechten ist's nicht schade, sagt er immer zu mir. Da hat er... na ja, er hat die Hunde nicht richtig auf mich gehetzt, aber er hat ihnen gesagt, sie sollen mich in die Ecke treiben, im Wohnzimmer. Ich hab' grad' ferngesehen, und die sind einfach nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher