Die verschwundene Frau
die ich Lemour und seinem Kollegen zu verdanken hatte, war es mittlerweile schon nach elf. Ich hatte also kaum noch Zeit, mit den Hunden zu gehen und etwas zu essen. Da sich in meinem Kühlschrank abgesehen von dem alten Brot ohnehin nur eine Orange befand, beschloss ich, die Hunde an die Leine zu nehmen und zusammen mit ihnen etwas zu essen zu holen.
Über Nacht war aus dem kühlen Frühlingswetter die drückende Schwüle des Sommers geworden. In der Nähe meines Wohnhauses gibt es keine Parks, und ich konnte den Hunden nicht zumuten, in dieser Luft fünf Kilometer zum Park und wieder zurück zu laufen. Als wir am Lebensmittelladen ankamen, hatte sogar Mitch aufgehört, an der Leine zu zerren, und freute sich darüber, sich im Schatten des Gebäudes ausruhen zu können. Ich holte eine Trinkschale für die Hunde aus meinem Rucksack und kaufte eine Flasche Wasser für sie, bevor ich mich um mein eigenes Essen kümmerte und mir schließlich noch einen Cappuccino in dem kleinen Stehcafe auf der anderen Straßenseite gönnte.
Während wir gemächlich wieder nach Hause trotteten, dachte ich über die Frau auf der Straße nach. In der Dunkelheit hatte ich nicht so genau beurteilen können, was mit ihr passiert war, aber der Oberarmknochen, der aus ihrem Fleisch herausragte wie ein Stock aus einem Sumpf, deutete auf Gewalteinwirkung hin. Der größere der beiden Beamten hatte gesagt, dass man sie ins Beth Israel bringen würde. Das kam mir ziemlich gelegen, weil Max Loewenthal, der Leiter des Krankenhauses, mit einer meiner besten Freundinnen liiert war.
Als wir an der Racine Avenue um die Kurve bogen, verlangsamte ein brauner Chevy mit allen möglichen Antennen neben den Hunden und mir. Detective Lemour kurbelte sein Fenster herunter und rief »Warshki!«. Ich schenkte ihm keine Beachtung.
Da schaltete er seinen Lautsprecher ein und teilte der ganzen Nachbarschaft mit, dass ich die Hunde lieber nicht von der Leine lassen solle. »Sie halten sich wohl für besonders schlau mit Ihren Freunden im Revier, Warshki, aber ich rücke Ihnen nicht von der Pelle, das werden Sie schon noch sehen. Sobald Sie irgendwo ein Stoppschild nicht beachten, bin ich da, also passen Sie mal lieber auf, was Sie machen.«
Eine Frau mit einem kleinen Kind an der Hand sah zuerst mich an und dann den Polizeiwagen, und zwei Jungen starrten mit offenem Mund von der anderen Straßenseite herüber. Ich blieb stehen und warf Lemour eine Kusshand zu. Er wurde vor Zorn ganz rot, doch sein Kollege versuchte, ihn zu beruhigen. Schließlich fuhr er mit quietschenden Reifen an.
Warum bloß interessierten sich die Beamten so sehr für die Frau von der Straße? Vielleicht war ja nur Lemour so ehrgeizig, aber seine Drohung machte mich fast so nervös, wie er es vermutlich beabsichtigt hatte. Ich zog die Hunde die Racine Avenue entlang zu meinem Haus. Allmählich hatte ich das Gefühl, dass meine Entscheidung, den Trans Am von einem unabhängigen Labor begutachten zu lassen, eine ziemlich gute Idee gewesen war.
Mr. Contreras hatte mir einen Zettel in seiner ausladenden, krakeligen Handschrift hinterlassen, auf dem stand, er sei unten in seiner eigenen Wohnung, um ein paar Anrufe wegen der Anzeigen zu erledigen. Ob ich ihm die Hunde vorbeibringen würde, bevor ich in die Stadt fuhr? Ich duschte noch einmal, weil ich völlig verschwitzt war, und rief dann in Max Loewenthals Büro an, wahrend ich mich abtrocknete.
Max war in einer Besprechung, was mich nicht wunderte. Zum Gluck war seine Sekretärin nicht in die Mittagspause gegangen und tat mir den Gefallen, die Unterlagen nach einer unbekannten Verletzten durchzugehen. Ich gab ihr meine Handynummer für den Fall, dass sie etwas herausfand, und zog mich in neuer Rekordzeit an: sandfarbener Hosenanzug, schwarzes Top, dazu silberne Ohrringe Ein bisschen Make-up konnte ich noch in der Hochbahn auflegen.
Ich hatte keine Zeit mehr fürs Frühstück, also nahm ich einen von den Äpfeln, die ich gerade gekauft hatte, stopfte meine Pumps in meine Aktentasche und rannte mit den Hunden nach unten. Mr. Contreras gab mir einen Zwischenbericht, obwohl ich ihm erklärte, dass ich in Eile sei und zu Darraugh Graham müsse.
»Tja, dann gehen Sie mal lieber, Schätzchen«, sagte Mr. Contreras, folgte mir zum Flur und sah mir von der Wohnungstür aus nach. »'nen Kunden, der seine Rechnungen pünktlich zahlt, darf man nicht warten lassen Ich hab' die Fühler ausgestreckt nach 'nem Buick Century mit hundertfünfzigtausend
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