Die verschwundene Frau
Geschwindigkeitsübertretungen mit dem Auto -, sind für Leute wie mich zugänglich. Theoretisch muss man etwas über die betreffende Person wissen, ihre Sozialversicherungsnummer beispielsweise oder den Mädchennamen der Mutter, um an diese Informationen zu kommen, aber auch das lässt sich ganz leicht umgehen. Als ich mir vor zwei Jahren einen Internetanschluss besorgt hatte, war ich schockiert gewesen, wie einfach es ist, an geschützte Daten heranzukommen. Jedesmal, wenn ich mich bei LifeStory einlogge, zuckte ich erneut erschreckt zurück, aber natürlich bleibe ich weiterhin Mitglied.
Der Text auf dem Bildschirm fragte mich, wie detailliert ich Bescheid wissen wolle. Ich klickte die Sparte »Ausführliche Information« an und erhielt die Auskunft, dass ich achtundvierzig Stunden auf den Bericht warten müsse - es sei denn, ich sei bereit, zusätzliche Gebühren zu zahlen. Ich entschied mich für den langsameren, billigeren Weg und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, um meine Aufzeichnungen durchzugehen. Der Rest der Arbeit konnte bis morgen warten, wenn ich - hoffentlich - wieder ein bisschen fitter wäre. Dann hörte ich den Anrufbeantworter ab und rief im Leichenschauhaus an.
Dr. Bryant Vishnikov, der dortige Gerichtsmediziner und der einzige Pathologe, den ich persönlich kenne, war bereits mittags nach Hause gegangen. Als ich dem Mann am Telefon erklärte, dass ich Privatdetektivin sei, für Max Loewenthal vom Beth Israel arbeite und etwas über die Frau erfahren wolle, die am Vormittag zu ihnen geschickt worden sei, versuchte der Mann, mich auf den folgenden Morgen zu vertrösten, wenn Vishnikov wieder da wäre.
Ich hörte den Fernseher, der so laut im Hintergrund lief, dass ich die Kommentare von Chip Caray über das Spiel der Cubs verstehen konnte. Es ist erstaunlich, wie wenig wirkliche Informationen Sportreporter über das laufende Spiel geben. Ich konnte nicht mal beurteilen, wer am Schlag war.
»Die Cubs sind morgen auch noch da und Sie vielleicht auch, aber ich kann nicht so lange warten«, erklärte ich dem Mann vom Leichenschauhaus.
Er seufzte laut und vernehmlich und rückte mit seinem Stuhl zurück.
»Sie haben die Obduktion noch nicht gemacht«, sagte er, nachdem er mich vier Minuten hatte warten lassen. »Sie ist so spät reingekommen, dass der Doc nicht mehr anfangen konnte, und offenbar wollte er das selber machen.«
»Ist sie inzwischen identifiziert?« »Ja, sieht fast so aus.«
Er ließ es mich deutlich spüren, dass ich ihn beim Fernsehen gestört hatte. »Und - wie heißt sie?«
»Nicola Aguinaldo.«
Er sprach den Namen so undeutlich aus, dass ich ihn bitten musste, ihn zu buchstabieren. Dann schwieg er wieder.
»Verstehe«, sagte ich »Aber ist sie so berühmt, dass ich den Namen kennen sollte?«
»Ach, ich dachte, Sie sind so scharf auf Informationen, weil die Frau aus dem Gefängnis abgehauen ist und so.«
Ich schnappte erstaunt nach Luft. »Ich weiß ja, dass es ganz schön unangenehm ist, was für sein Geld zu tun, aber konnten Sie mir bitte sagen, welche Informationen Sie sonst noch haben?«
»Nun regen Sie sich mal nicht auf«, brummte er »Ich hab' hier noch vier Leute, die sich gern ihre verstorbenen Anverwandten anschauen würden.«
»Sobald Sie mir gesagt haben, wie lange Nicola Aguinaldo schon auf der Flucht war, können Sie die Öffentlichkeit wieder mit Ihrem Charme beglücken.«
Er las mir die Einzelheiten ziemlich schnell und mit monotoner Stimme vor. Dann legte er auf. Nicola Aguinaldo war am Sonntag morgen bei Schichtwechsel aus einem Krankenhaus in Coolis, Illinois, geflohen. Die Frauenhaftanstalt hatte sie zur Behandlung einer angeblichen Eierstockzyste dorthin gebracht, und Nicola Aguinaldo hatte sich mit dem Wäschelaster aus dem Staub gemacht. In den folgenden achtundvierzig Stunden war sie zur North Side von Chicago zurückgekehrt, ihrem Mörder über den Weg gelaufen und gestorben.
Signor Ferragamo, vermute ich
Der Mann vom Leichenschauhaus hatte mir Nicola Aguinaldos letzte bekannte Adresse nicht genannt, aber vielleicht stand die gar nicht in dem Bericht. Ich sah ins Telefonbuch, doch niemand dieses Namens wohnte in der Gegend, in der Mary Louise und ich die Frau gefunden hatten - wenn sie sich mit einem Zuhälter oder Dealer in die Haare geraten war, konnte sie gut und gerne weit, weit weg von zu Hause gelandet sein. Obwohl jemand, der aus dem Gefängnis ausbricht, sich normalerweise auf den Weg zu seinen Verwandten macht.
Ich nagte an
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