Die verschwundene Frau
unleserlich und hatte auch »Oortneam« heißen können. Ms. Paxton musste als Angehörige des Personals nur ihr Namensschild vorzeigen.
Hinter der dritten Tür erwartete uns Daisy - für uns Schwester Lundgren -, die Stationsschwester. Sie musterte Ms. Paxton kühl und erkundigte sich, was los sei.
»Die Leute hier wollen etwas über die Flucht dieser Farbi... dieser jungen Frau letzte Woche erfahren. Ich möchte ihnen nur zeigen, dass die Station hier strengsten Sicherheitsbestimmungen unterliegt. Und dass es nicht an unserer Nachlässigkeit lag, wenn die junge Frau verschwunden ist.«
Schwester Lundgren runzelte die Stirn. »Sind Sie sich sicher, dass ich mit ihnen sprechen soll? Das Rundschreiben von Captain Ruzich war in dieser Hinsicht ganz eindeutig formuliert.«
Ms. Paxton bedachte sie mit einem warnenden Lächeln. »Ich verlasse mich da ganz auf Ihre Diskretion, Daisy. Aber der Großvater der jungen Frau ist die weite Strecke von Chicago hierher gekommen. Ich möchte ihm zeigen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, wenn Gefangene unserer Obhut anvertraut werden.«
»Na gut«, sagte die Schwester. »Dann bringe ich sie in die Station. Wahrscheinlich haben Sie genug zu tun und wollen uns nicht begleiten.«
Ms. Paxton schien mit sich zu ringen, ob sie Schwester Lundgren in unserer Gegenwart widersprechen sollte, drehte sich aber schließlich auf ihren bewegungslosen Hüften um und verschwand.
»Wie viele Gefangene sind schon aus dem Krankenhaus entkommen?« fragte ich die Schwester, während wir ihr in den abgeschlossenen Trakt folgten.
»Fünf«, sagte sie. »Aber das war vor dem Bau dieses Flügels. Früher war's ziemlich einfach, aus dem Fenster zu springen, obwohl Gitter davor waren, weil die Mädchen wussten, wie sie sich in die Cafeteria oder in einen anderen Teil des Gebäudes schleichen konnten, in dem sie nichts verloren hatten.«
Ich warf einen Blick in einen Raum, an dem wir vorbeikamen. Er war leer; Schwester Lundgren hatte nichts dagegen, als ich sie bat, ihn mir genauer ansehen zu dürfen. Er hatte die gleichen winzigen Schießschartenfenster wie das Gefängnis und keine Toilette. Schwester Lundgren erklärte uns, die Frauen müssten eine Toilette auf dem Flur benutzen, die bei Bedarf von einer Aufseherin aufgesperrt wurde. Das Krankenhaus durfte den Gefangenen kein Versteck innerhalb des Zimmers bieten, in dem sie sich verbergen konnten, um die Aufseher anzugreifen oder möglicherweise Selbstmord zu begehen.
Im nächsten Raum lag eine ausgezehrte Frau schlafend im Bett. Auf der anderen Seite des Flurs schaute eine junge Frau mit dunklem, lockigem Haar fern. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass sie mit Handschellen ans Bett gefesselt war.
»Wie geht's Ihnen, Veronica?« rief Schwester Lundgren ihr im Vorbeigehen zu.
»Gut, Schwester. Und wie geht's meinem Baby?«
Veronica hatte am frühen Morgen ein Kind zur Welt gebracht. In ein paar Tagen würde sie wieder ins Gefängnis zurückgefahren werden, wo sie ihr Kind vier Monate lang behalten konnte. In dieser Hinsicht sei Coolis ziemlich progressiv, sagte Schwester Lundgren, während sie das Schloss aufsperrte, das das Schwesternzimmer von der Station trennte.
Sie unterbrach einen Flirt zwischen einer Schwester und einem Aufseher und wies ihre Untergebene an, ein Auge auf die Station zu haben, während sie sich mit uns unterhalten würde.
»Die Arbeit hier fällt ihnen schwer - es ist kein richtiger Pflegejob, und ihnen wird langweilig, wenn die Station so leer ist wie im Augenblick.«
Sie führte uns in einen winzigen Raum hinter dem Schwesternzimmer, in dem sich ein Tisch, eine Mikrowelle und ein kleiner Fernseher befanden. Dies war der einzige Raum im ganzen Stockwerk mit richtigen Fenstern, die allerdings aus drahtverstärktem Glas waren, so dass man nicht hindurchsehen konnte.
Schwester Lundgren erklärte uns ohne zu zögern die statistischen Daten der Station. Es gab darin zwanzig Betten, von denen jedoch nie mehr als acht oder zehn belegt waren. Das war nur ein einziges Mal anders gewesen, als zahlreiche Insassinnen des Gefängnisses an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt waren und diejenigen unter ihnen, die unter Herzproblemen litten, beinahe gestorben waren.
Sie konnte nicht beurteilen, wie einfach oder schwierig es für eine Gefängnisinsassin war, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, aber ihrer Erfahrung nach waren sie alle schon ziemlich krank, wenn sie gebracht wurden. »Die Mädchen versuchen
Weitere Kostenlose Bücher