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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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hier. Sie... nun, sie war bis letzte Woche Patientin in diesem Krankenhaus, aber die Sache ist nicht so gut gelaufen für sie.«
    Die Frau wurde wachsam. Offenbar gingen ihr sofort die Regeln für den Umgang mit Verwandten durch den Kopf, die vorhatten, ärztliche Fehler zu beanstanden. Sie fragte Mr. Contreras nach dem Namen seiner Enkelin.
    »Nicola Aguinaldo.« Er buchstabierte den Namen. »Ich will dem Krankenhaus ja nicht die Schuld geben, aber interessieren würde es mich schon, wie sie reingekommen und was dann passiert ist. Sie. na ja, sie hatte da ein Problem in Chicago und war deswegen hier in Coolis im Gefängnis, als sie krank geworden ist.«
    Sobald Mr. Contreras seine anfängliche Nervosität überwunden hatte, machte er sich glänzend. Ich begann fast zu glauben, dass Nicola Aguinaldo tatsächlich seine Enkelin gewesen war und die Familie sich Sorgen um sie gemacht hatte, aber man wusste ja, wie das war mit den jungen Leuten heutzutage, die ließen sich einfach nichts sagen. Die Frau an der Rezeption versuchte immer wieder, ihn zu unterbrechen, um ihm zu erklären, dass sie sich nicht mit ihm über Patienten unterhalten konnte, besonders wenn diese Patienten Gefängnisinsassen waren, aber irgendwann gab sie es auf und holte eine Vorgesetzte.
    Ein paar Minuten später kam eine Frau in meinem Alter zu uns, die sich als Muriel Paxton, Leiterin der Abteilung für Patientenfragen, vorstellte und uns bat, ihr zu ihrem Büro zu folgen. Das leuchtendrote Kostüm bewegte sich kaum, als sie ging. Es wirkte fast, als habe die Frau eine Möglichkeit gefunden, ihre Beine zu benutzen, ohne dabei den Unterleib einzusetzen.
    Wie alle modernen Krankenhäuser hatte auch das Coolis General für den Verwaltungstrakt keine Kosten gescheut. Totaloperationen werden heutzutage mitunter ambulant erledigt, aber die Krankenhausleitung muss repräsentativ untergebracht sein. Muriel Paxton nahm hinter einem Rosenholzschreibtisch Platz, der farblich überhaupt nicht zu ihrem Kostüm passte. Mr. Contreras und ich setzten uns auf nachgemachte Korbstühle, und unsere Füße versanken bis zu den Knöcheln in einem lavendelfarbenen Teppich.
    »Warum sagen Sie mir nicht als erstes, wie Sie heißen?« meinte Ms. Paxton mit gezücktem Stift.
    »Das hier ist Nicola Aguinaldos Großvater«, sagte ich, »und ich bin die Anwältin der Familie.«
    Ich buchstabierte meinen Familiennamen ganz langsam. Genau wie ich gehofft hatte, verzichtete Ms. Paxton aufgrund der Anwesenheit einer Anwältin darauf, Mr. Contreras noch einmal nach seinem Namen zu fragen - er wollte sich nicht »Aguinaldo« nennen und hatte mir auf dem Weg nach Coolis erklärt, dass er bei der Sache nur mitmachen werde, wenn sein richtiger Name nirgends auftauche.
    »Und was für ein Problem haben Sie?« Ms. Paxtons Lächeln war so strahlend wie ihr Lippenstift, aber alles andere als herzlich.
    »Das Problem ist, dass mein kleines Mädchen tot ist. Ich möchte wissen, wie sie unbemerkt hier rausgekommen ist.«
    Ms. Paxton legte den Stift weg und lehnte sich ein wenig vor - eine Geste, die man in Rhetorik- und Präsentationskursen lernt: Sie soll signalisieren, dass man dem anderen Aufmerksamkeit schenkt. Ihr Blick sagte jedoch etwas anderes.
    »Wenn eine Patientin das Krankenhaus verlassen möchte, obwohl sie sich nicht in der Verfassung dazu befindet, können wir sie letztlich nicht daran hindern, Mr. Äh...«
    »Ach, dass ich nicht lache. Man hat sie vom Gefängnis hergebracht, wahrscheinlich sogar in Ketten, und Sie wollen mir weismachen, dass sie aus dem Krankenhaus einfach so raus kann, wenn ihr das einfällt? Dann stehen die Frauen im Gefängnis sicher Schlange, damit sie hier rüber dürfen. Wieso haben wir nicht erfahren, dass sie so 'ne Frauengeschichte hatte? Wieso hat sie uns das nicht erzählt, wie sie daheim angerufen hat? Das würde ich wirklich gern wissen. Wollen Sie mir vielleicht sagen, dass jemand aus diesem Krankenhaus verschwinden kann, und die Angehörigen nicht mal erfahren, dass sie drin gewesen ist?«
    »Mr. Äh., ich versichere Ihnen, dass wir alle nötigen Maßnahmen.«
    »Und noch eins: Wer hat überhaupt die Diagnose gestellt? 'ne Aufseherin im Gefängnis vielleicht? Ihr hat nichts gefehlt, das hätten wir gewusst. Keiner hier im Krankenhaus hat sich mit uns in Verbindung gesetzt und gesagt >Ihre Kleine ist krank, geben Sie uns die Erlaubnis, sie zu operieren?< oder was Sie auch immer mit ihr vorhatten. Was ist passiert? Haben Sie Murks gemacht, oder

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