Die verschwundene Frau
Sie dürfen sich einfach nicht in einem so unsicheren Teil der Stadt aufhalten.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht, Ma'am«, pflichtete ich ihr bei, weil ich mich auf keine weiteren Diskussionen einlassen wollte.
Ich lehnte mich auf dem Sofa zurück und schloss die Augen. Dann stellte ich mir vor, am Ufer des Lake Michigan zu liegen, die Sonne über mir, bis ich mich so weit beruhigt hatte, dass ich in der Lage war, über die Situation nachzudenken. Wenn dies Baladines Werk war, diente es vielleicht dazu, mir einen Schrecken einzujagen, aber vielleicht gab es auch etwas in meinem Büro, das für ihn von Interesse war. Ich ging im Geist noch einmal die Gespräche durch, die ich in der vergangenen Woche mit Frenada und Alex geführt hatte. Und mit Murray.
Ich hatte Murray von dem LifeStory-Bericht über Frenada erzählt, dem Beweis dafür, dass Frenada sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Aber das hier konnte nicht Murray Ryersons Werk sein. Murray war Journalist, und für ihn waren die Story und die Jagd danach wichtig. Global war es mit Sicherheit nicht gelungen, diesen Jagdinstinkt innerhalb weniger Wochen auszulöschen, dazu war Murray einfach zu gut.
Das sagte ich mir immer wieder, als wollte ich ihn vor Gericht verteidigen.
Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern, was ich mit dem Ausdruck von LifeStory gemacht hatte. Ja, ich hatte alle Unterlagen in eine Schublade des Schreibtischs gestopft, weil ich wusste, dass Mary Louise auf dem Tisch arbeiten würde, und sie hasste Unordnung. Ich zog die Schublade heraus. Eine ganze Menge Papiere fehlten, so dass die Tampons zum Vorschein kamen, die ich in der Lade aufbewahrte und die normalerweise in einer Schachtel lagen, jetzt aber lose herumrollten. Ganz automatisch begann ich, sie wieder in die Schachtel zurückzulegen, doch sie passten nicht hinein. Ich hob die Schachtel hoch.
In ihrem Innern befand sich ein Tiefkühlbeutel mit weißem Pulver. Ich starrte ihn an. Kokain. Vielleicht auch Heroin - ich konnte es nicht unterscheiden. Jemand war in mein Büro eingedrungen und hatte Drogen darin versteckt. Ich beschloss, das Pulver weder zur Prüfung in ein Labor zu schicken noch der Polizei davon zu erzählen. Die Sache wollte ich niemandem erklären.
Ich sprang auf und begann hektisch, jede Schublade, alle elektrischen Anschlüsse und jeden Winkel zu durchsuchen.
Ich fand zwei weitere Beutel - der eine klebte an der Innenseite des Druckers, und der andere steckte in einem Riss an der Unterseite des Sofas, Dann entriegelte ich die Tür und rannte den Flur hinunter zur Toilette, wo ich so lange spülte, bis das Pulver und auch die Beutel, die ich zuvor mit Tessas Nagelschere zerkleinert hatte, verschwunden waren. Hinterher stellte ich mich voll bekleidet unter die Dusche und ließ das warme Wasser laufen, bis ich glaubte, alle verräterischen Spuren der Drogen beseitigt zu haben. Schließlich kam ich wieder aus der Dusche heraus, zog ein Set sauberer Arbeitskleidung von Tessa an und hängte meine nassen Sachen an einen Haken an der Rückseite ihrer Ateliertür. In meiner Hysterie hatte ich fast auf den Zettel am Kühlschrank, auf den wir immer notierten, was wir herausgenommen hatten, geschrieben: Ich habe eine Nagelschere und eine Khakihose und ein T-Shirt genommen. Werde alles so schnell wie möglich ersetzen.
Als ich wieder in meinem Büro war, rief ich von meinem Handy aus die Polizei. Wahrend ich auf die Beamten wartete, zog ich ein Paar Latexhandschuhe an und ging vorsichtig meine Papiere durch. Ich hatte den Frenada-Bericht in eine alte Mappe gelegt, daran erinnerte ich mich noch, aber ich wusste nicht mehr, in welche. Mir fiel nur noch ein, dass ich gedacht hatte, Mary Louise hätte sicher sofort ein neues Etikett dafür beschriftet. Der Streifenwagen war immer noch nicht da, als ich schließlich die Mappe mit der Aufschrift »Ehemaligen-Fonds« fand. Der Ausdruck war noch drin, zusammen mit dem Bericht der Sanitäter, den Max mir vom Beth Israel aus zugefaxt hatte.
Die Polizei lässt sich normalerweise Zeit, wenn sie an dieses Ende des Wicker Park gerufen wird. Einem plötzlichen Impuls folgend, steckte ich alle Unterlagen in einen Umschlag, adressierte ihn an Mr. Contreras, ging die Straße ein Stück hinunter und schob ihn in einen Briefkasten Ecke Western und North Avenue.
Dort begrüßte Elton mich mit seinem üblichen Lächeln: Ich tu dir nichts; ich hin dein Freund; gib mir ein paar Cents. Er rasselte seinen Text herunter wie
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