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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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mich verstecken? Die Wand konnte ich nicht hoch, um zu einem der Fenster zu gelangen. Ich duckte mich In den Frachtaufzug. Der Zug fuhr ratternd vorbei und übertönte jedes Geräusch, das ich verursachte. Wenn sie die Treppe hochkamen, würden sie nicht lange brauchen, um mich im Aufzug zu entdecken. Selbst wenn ich einen Schlüssel gehabt hätte, um ihn in Gang zu setzen, konnten sie mich unten erwarten und einfach einsammeln wie eine reife Frucht.
    Mein Gott, wie dumm war ich doch gewesen, in dieses Gebäude zu kommen, wenn von vornherein alle Alarmglocken geschrillt hatten. Da kannte mich jemand zu gut, jemand, der wusste, dass ich die Risiken abwägen und mich doch für den gefährlicheren Weg entscheiden würde.
    Ich sah mich in dem Gehäuse des Aufzugs um. Die Klappe über mir war offen. Ich versuchte, die Entfernung abzuschätzen. Mehr als eine Chance würde ich nicht bekommen. Da sah ich einen Lichtstrahl an der Wand entlangwandern. Ich ging in die Hocke, spannte alle Muskeln an und sprang. Meine Hände erreichten die Kante der Klappe. Ganz langsam zog ich mich hoch. Der Güterzug sorgte dafür, dass mein keuchender Atem und der Lärm, den ich machte, nicht zu hören waren.
    Über mir entdeckte ich ein Oberlicht, durch das so viel Helligkeit drang, dass ich die Kabel und die Holzplatte erkennen konnte, die normalerweise die Klappe verschlossen. Ich schob die Platte über die Öffnung. Der Aufzug erzitterte, als der Güterzug direkt am Haus vorbeifuhr, beruhigte sich aber wieder, als er schließlich vorbei war. Jetzt hörte ich gedämpfte Stimmen unter mir.
    »Sie müsste hiersein.«
    Mir wurde übel vor Angst.
    »Hast du gesehen, wie sie von daheim weggefahren ist?« Das war unverkennbar Lemours Stimme.
    »Nein, aber ihr Wagen steht nicht mehr vor der Haustür. Wahrscheinlich ist sie durch die Hintertür verschwunden; an die haben wir zu spät gedacht. Und ans Telefon geht sie auch nicht.«
    »Tja, dann ist sie vermutlich noch nicht da. Vielleicht hat sie unterwegs noch Hilfe geholt. Ich schicke jemanden in die Putzkammer und jemanden in Frenadas Büro. Du wartest hier.«
    Dann entfernten sich die Stimmen wieder. Ich saß auf einem Stück Metall. Jetzt, da ich wusste, dass ich mich nicht bewegen durfte, nahm ich alles viel deutlicher wahr - ich spürte die Kante, die mir rasierklingenscharf ins Hinterteil schnitt, und das Kabel unter meinem rechten Fuß, das hochschnappen würde, wenn der Druck darauf nachließe.
    Ich atmete ganz langsam und vorsichtig und hatte schreckliche Angst, dass ich irgendwann husten müsste. Behutsam legte ich den Kopf in den Nacken, so dass ich das Oberlicht genauer betrachten konnte. An der Wand, die zu ihm hinaufführte, waren ein paar Sprossen befestigt. Wenn ich es schaffte, die zu erreichen, ohne dass mich der Mann im Aufzug hörte... Dadurch, dass ich den Kopf nach hinten gelegt hatte, bekam ich einen starken Hustenreiz. Gerade als ich meinte, ihn nicht mehr länger unterdrücken zu können, wurde der Aufzug unter mir wieder erschüttert. Einen kurzen Augenblick lang glaubte ich, der Mann habe mich entdeckt und klettere nun zu mir herauf, doch dann, in dem Moment, als ich loshusten musste, ratterte wieder ein Zug hinter dem Gebäude vorbei.
    Als ich mich vorsichtig erhob, merkte ich, dass mein Gewicht die ganze Zeit auf meinem linken Oberschenkel geruht hatte, der jetzt vor Anstrengung zitterte. Ich streckte das Bein behutsam, um so wenig Lärm wie möglich zu machen.
    Sobald der schlimmste Krampf vorbei war, trat ich an den Rand des Aufzugs und zog an der Sprosse direkt über meinem Kopf. Sie schien ordentlich an der Wand befestigt zu sein. Dann stellte ich den rechten Fuß auf die Sprosse unmittelbar vor mir. Auch sie hielt. Ich begann, mich hochzuziehen. Das war ein bisschen wie damals in der Turnstunde bei Ms. McFarlane, wenn wir das Seil hochklettern mussten.
    Es waren nur knapp fünf Meter nach oben, fünf Sprossen bis zu dem Oberlicht beziehungsweise einer winzigen Plattform, auf der das Wartungspersonal sitzen konnte. Sehr dick durfte man allerdings nicht sein, wenn man in dem Schacht arbeiten wollte. Und warum ging das Oberlicht nicht auf? Mussten die Leute denn nie raus aufs Dach? Ich konnte nirgends einen Riegel entdecken. War das Fenster vielleicht nur zur Zierde da?
    Unten ratterte wieder ein Zug vorbei. Ich holte die Waffe aus meinem Schulterholster und stieß mit dem Griff gegen das Glas. Es klirrte den Aufzugsschacht hinunter. Dieses Geräusch war nun wirklich

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