Die verschwundene Frau
Blutungen einfach nicht aufhören wollten. Ich hatte ihr immer wieder frische Binden gebracht und meine eigenen jahrelang jeden Monat voller Angst davor gewechselt, wann es bei mir soweit wäre, dass ich von innen heraus verbluten würde. Vielleicht hatte Lotty recht. Vielleicht hatte ich tatsächlich Schuldgefühle, weil ich meine Mutter überleben würde, und das wäre sicher nicht in ihrem Sinn gewesen. Ich sollte wirklich besser auf mich aufpassen.
Lotty bestand darauf, mich mit zu sich zu nehmen. Ich wollte ein paar Telefonate erledigen, herausfinden, ob Lacey Dowell wusste, wo Lucian Frenada steckte, denn ich hatte ihn weder zu Hause noch in seiner Fabrik erreicht, bevor ich zu Lotty in die Klinik gekommen war. Ich wollte mich mit Murray darüber unterhalten, woher er die Information hatte, dass Frenada mit Kokain dealte. Ich spielte sogar mit dem verrückten Gedanken, Baladine anzurufen, um ihn zu beschuldigen, dass er die Sache mit den Drogen arrangiert hatte.
Lotty jedoch weigerte sich, meine Bitte um ein Telefon zu erfüllen -sie schob mich einfach in ihr Gästezimmer und zog den Stecker aus der Wand. Ich war ungefähr dreißig Sekunden lang wütend, aber dann war es plötzlich zehn Uhr morgens und Montag, und ich hatte einen Bärenhunger.
Lotty hatte mir einen Zettel hinterlassen: Der Portier unten an der Tür wusste, dass ich in ihrer Wohnung war, und hatte Anweisung, mich wieder ins Haus zu lassen, falls ich mal hinauswollte, um einen Spaziergang zu machen. Außerdem ermahnte sie mich, es ein paar Tage langsamer angehen zu lassen. Im zweiten Stock, schrieb sie, gab es eine Sauna und einen Fitnessraum - der Schlüssel zu ihrer Wohnungstür, der mit in dem Umschlag steckte, passte auch dafür. Nimm Dir ruhig Obst und Brot. Und bitte, Victoria, tu mir den Gefallen, nirgends mehr runterzuspringen, ohne Dich vorher gründlich umzuschauen.
Nach einer Orange und einer Scheibe Toast ging ich hinunter in den Fitnessraum, in dem sich lediglich ein paar Hanteln und ein Übungsrad befanden, aber wenigstens gelang es mir dort, ein wenig von meiner Steifheit abzuarbeiten. Nach einer halben Stunde in der Sauna verschwand ich wieder im Bett. Als ich dann so gegen eins endgültig aufstand, machte ich mir mit Eiern und frischen Tomaten etwas Warmes zu essen. Die Telefonate, die ich am Vortag unbedingt hatte erledigen wollen, erschienen mir jetzt nicht mehr so wichtig, aber ich setzte mich trotzdem mit Lottys Apparat auf den Balkon, um Mary Louise anzurufen.
Als ich ihr erzählt hatte, was am Samstag in meinem Büro passiert war, sagte sie: »Dann hast du dort also tatsächlich Drogen gefunden. Und wenn Lemour sie versteckt hat, kannst du dich nicht mal an die Polizei wenden.«
»Ich habe eine Videoaufnahme von Lemour, wie er mein Büro durchsucht; die könnte ich wahrscheinlich der Staatsanwaltschaft vorlegen. Das Problem ist bloß, dass ich da mittlerweile niemanden mehr persönlich kenne, und außerdem habe ich Angst, dass Lemour sogar das Tape verschwinden lassen könnte. Wenn ich glauben würde, dass Murray etwas unternehmen könnte und wollte, würde ich's ja ihm geben, aber ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich mich noch auf ihn verlassen kann. Was hältst du davon, es Terry Finchley zu zeigen?«
Sie schwieg eine Weile. »Weißt du, ich bin verantwortlich für meine Kinder. Ich kann mein Leben nicht für einen Fall aufs Spiel setzen, den du dir vielleicht nur einbildest.«
Ich setzte mich mit einem Ruck auf, und sofort durchzuckte mich ein spitzer Schmerz. »Mary Louise, was willst du damit sagen? Du warst doch von Anfang an dabei. Wenn ich mich recht erinnere, hat deine Panik sogar dazu geführt, dass ich meinen Wagen zu Schrott gefahren habe. Der übrigens von der Polizei beschlagnahmt ist und den ich vielleicht nie wiedersehe. Was erfinde ich deiner Meinung nach daran?«
»Na schön, du erfindest das alles nicht«, murmelte sie. »Und die Sache mit deinem Wagen tut mir leid. Wenn ich das Geld hätte, würde ich die Reparatur für dich zahlen. Aber es ist immer wieder die gleiche Geschichte mit dir: Du kannst es einfach nicht ertragen, Angst zu haben oder von jemandem in die Enge getrieben zu werden, also versuchst du's mit allen Leuten aufzunehmen, die dir drohen, egal, wie einflussreich sie sind. Terry hat mich davor gewarnt, als ich angefangen habe, für dich zu arbeiten. Er hat gesagt, du machst das immer wieder und nimmst keinerlei Rücksicht, wenn's dir ums Prinzip geht. Aber in diesem Fall legst
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