Die verschwundene Frau
nicht mehr zu überhören. Ich schlug auch noch das restliche Glas aus dem Rahmen, schob mein Sweatshirt über den Kopf und zog mich durch das Fenster, als der Mann unten Unterstützung herbeirief.
Ich stolperte auf das flache Teerdach und rannte zur Kante. Ein Polizei wagen stand an der Trumbull Avenue, das Blaulicht eingeschaltet, um Neugierige am Näherkommen zu hindern. Ein weiterer wartete am westlichen Ende des Gebäudes. Ich rannte zur anderen Seite. Hinter dem Haus fuhren die Güterzüge vorbei und schnitten mir den Fluchtweg ab.
Da lugte auch schon der erste Kopf aus dem Oberlicht heraus. »Stehenbleiben, Warshki!«
Ich ließ mich auf den Teer fallen, als Lemour zu schießen begann, und schwang die Füße über die Kante. Lemour rannte auf mich zu. Ich streckte mich so weit nach rechts, wie ich konnte, und sprang.
Es war, als ob man vom Fahrrad stürzte. Ich landete auf dem Waggon unter mir, versuchte, mich aufrechtzuhalten, knallte aber auf die linke Hüfte und den Unterarm.
Ich blieb liegen, so froh über mein Entkommen, dass ich mich fast über den Schmerz freute. Also war ich doch noch nicht zu alt, um von Häusern zu springen.
Ich lag ungefähr zehn Minuten lang so da und sah zu, wie Straßenlaternen und Bäume an mir vorbeiruckelten. Als sich die Euphorie über meine Flucht allmählich wieder legte, begann ich darüber nachzudenken, was ich als nächstes tun sollte. Ich konnte nicht auf diesem Zug bleiben, bis er aus der Stadt war. Denn wenn ich das tat, was sollte ich dann anfangen? Mir ein Bett im Kornfeld suchen. Oder jemanden überreden, eine abgerissene Frau in die nächste Stadt mitzunehmen. Oder ein Sheriff aus irgendeinem kleinen Kaff in Wisconsin gabelte mich mit meiner Waffe auf und glaubte mir nicht, dass ich ein Recht hatte, sie zu tragen. Noch schlimmer war die Möglichkeit, dass Lemour dem Zug folgen würde. Ich setzte mich auf.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Die Stadt, die ich kannte wie meine Westentasche, lag längst hinter uns, und ich sah überall nur Signallichter und ineinander übergehende Gleise. Ich fühlte mich ziemlich einsam in der Dunkelheit. Der Zug fuhr jetzt schneller und eilte auf fremde Gebiete zu. Ein Güterzug in südlicher Richtung passierte uns und verursachte einen solchen Luftsog, dass ich mich wieder hinlegte.
Über mir sah ich ein Flugzeug, das aussah wie ein riesiger Grashüpfer. Ich konnte die Landelichter und die Unterseite des Fliegers genau erkennen. O'Hare. Also befanden wir uns gar nicht wo weit von der Stadt entfernt.
Plötzlich bremste der Zug, und ich fiel wieder auf meine verletzte Hüfte. Ich ließ mir nicht die Zeit zu fluchen oder mir meine Kratzer genauer anzusehen, sondern kroch zum vorderen Teil des Waggons, wo sich eine Leiter befand, und kletterte hinunter. Der Zug bewegte sich immer noch, wenn auch langsam. Ich sprang so weit wie möglich von den stampfenden Rädern weg, landete auf Gras, rollte dann einen Hügel hinunter, wobei die Waffe mir in die Brust drückte, und kam schließlich an einer Betonmauer zu liegen.
Sofort ging ich auf Hände und Knie, aber als ich mich vollends erheben wollte, spürte ich einen stechenden Schmerz in der Seite, der mir den Atem nahm. Ich lehnte mich gegen die Mauer; Tränen traten mir in die Augen. Vorsichtig tastete ich meinen Körper unter dem Holster ab. Es tat ziemlich weh. Hatte ich mir eine Rippe gebrochen? Oder einen Muskel gezerrt? Wenn Lemour den Zug angehalten hatte, konnte ich nicht hier herumstehen. Ich musste weg.
Als ich mich zu bewegen begann, bohrte sich die Waffe in die schmerzende Stelle. Ich stützte mich an der Mauer ab und hielt den linken Arm hoch, um das Holster zu lösen. Nachdem ich die Sicherung meiner Smith & Wesson überprüft hatte, steckte ich die Waffe in die Tasche und befestigte das Holster lose an meiner Taille.
Die Ärmel meines Sweatshirts hatten riesige Löcher von dem Glas im Oberlicht. Meine restliche Kleidung war mit öligem Schlamm verschmiert. Blut klebte an meinem Hals und meinen Armen -Schnitte, die ich anfangs überhaupt nicht bemerkt hatte, begannen nun zu schmerzen. Ich humpelte weg, so schnell ich konnte, und lauschte dabei auf das Geräusch eventueller Verfolger.
Helle Lichter über der Mauer, gegen die ich mich gelehnt hatte, zeigten mir jede Einzelheit des Bodens - Fast-Food-Verpackungen, die die Leute achtlos weggeworfen hatten, Coladosen, Plastiktüten, sogar Schuhe und Kleidungsstücke. Ich humpelte an der Mauer entlang zum Fuß einer
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