Die verschwundene Frau
du dich mit Riesen an. Kapierst du das denn nicht?«
Ich umklammerte den Telefonhörer so fest, dass meine wunden Handflächen zu pochen begannen. »Nein, ich kapier's nicht.«
»Mein Gott, Vic, nun benutz doch mal dem Gehirn. Das hat Samstag nacht schließlich nichts abbekommen. Du willst dich unbedingt mit Robert Baladine anlegen. Wer ist sein bester Freund? Wer hat ihm den Vertrag in Coolis beschafft? Und wer kann eine Leiche verschwinden lassen, ohne dass irgend jemand Fragen stellt? Warum hast du den verlockenden Auftrag, den Alex Fisher dir angeboten hat, nicht angenommen?«
»Wie bitte? Du hast mir doch selber geraten, die Finger davon zu lassen. Und wenn du glaubst, ich lasse mich von irgend jemand kaufen... «
»Ja, ja, ich weiß, du bist dir viel zu gut, um dich von einem Kotzbrocken aus Hollywood kaufen zu lassen. Aber eins sage ich dir: Ich bringe Josh und Nate nicht in Gefahr. Zum Glück ist Emily in Frankreich, und ich muss mir um sie keine Sorgen machen. Wenn du weiter in diesem Wespennest herumstocherst, kündige ich und verlasse mit den Jungs die Stadt.«
Du kannst gar nicht kündigen, weil du gefeuert bist. Das sagt man in solchen Fallen normalerweise, aber ich sagte es nicht, sondern dachte es nur, denn sobald ich mich wieder beruhigt hätte, würde ich es bereuen. Doch ich hatte mich noch nicht wieder beruhigt, und unsere Verabschiedung war beiderseits alles andere als freundlich. Besonders nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass sie keine Zeit haben würde, mir beim Ordnen der Akten zu helfen, weil sie sich auf Prüfungen vorbereiten musste und für eine Anwaltskanzlei arbeitete, bei der sie vielleicht ein Praktikum machen konnte. Außerdem waren die Jungs in Sommerhorts, und sie konnte keine Woche opfern, um das Chaos zu beseitigen, das ich ihr soeben beschrieben hatte.
Ich war zu wütend, um zu denken, zwang mich aber, mich zu beruhigen, während ich in der Wohnung herumhumpelte und Lottys Kunstsammlung betrachtete. Unter ihren Sachen befand sich auch eine Alabasterfigur der Andromache, die ich Lotty mit Hilfe genau jener Methoden zurückgebracht hatte, derentwegen sie und Mary Louise mich jetzt kritisierten. Ich musste aufhören, solche Gedanken zu wälzen, denn sonst würde ich nur wieder wütend werden.
Also trank ich ein Glas Wasser und ging hinaus auf den Balkon, um auf den See hinunterzuschauen. Am Horizont, wo See und Himmel zusammentrafen, sahen die Segelboote aus wie weiße Papierfetzen, die ein Kind in einer Collage verarbeitet hatte. Ich wäre gern an diesem fernen Horizont gewesen, sah aber keine Möglichkeit, ihn zu erreichen.
Was war es, das ich im Hinblick auf Baladine einfach nicht erkannte? Natürlich hatte Poilevy ihm den Vertrag in Coolis beschafft, um das herauszufinden, musste man kein Sherlock Holmes sein. Aber wenn er eine Leiche verschwinden lassen wollte, ohne dass jemand Fragen stellte, wie Mary Louise gesagt hatte, musste Poilevy Verbindungen zur Mafia haben. Wahrscheinlich hatte einer von Mary Louises alten Freunden sie vor ihm gewarnt, während ich in Georgia gewesen war - vermutlich Terry Finchley.
Man musste auch kein Genie sein, um zu ahnen, dass Detective Lemour sich ein Zubrot bei der Mafia verdiente, höchstwahrscheinlich in den Vororten. Chicagoer Polizisten mussten innerhalb der Stadtgrenzen wohnen, aber es gab keine Regel, die es ihnen verboten hätte, ihre Fühler auch in die Umgebung auszustrecken. In den vergangenen Jahren waren schon bei zwei anderen Beamten Kontakte zur Mafia entdeckt worden.
Das hieß, dass Lemour mit ziemlicher Sicherheit für Poilevy arbeitete. Nein, nicht für Poilevy. Der würde sich die Hände bestimmt nicht auf eine Art und Weise schmutzig machen, die ein Journalist wie Murray - Murray, wie er früher gewesen war -aufdecken konnte. Lemour arbeitete für jemanden, Punkt. Aber das hatte ich schon seit dem Anruf am Samstag nachmittag gewusst, als ein namenloser »Chef« Lemour zurückgepfiffen hatte.
Allerdings begriff ich nicht, was das alles mit Nicola Aguinaldos Tod zu tun hatte. Was wusste Lucian Frenada, das für Baladine oder Poilevy von Bedeutung sein konnte? Möglicherweise etwas über das Mad-Virgin-T-Shirt-Kleid, das Nicola zum Zeitpunkt ihres Todes getragen hatte. Würde Lacey Dowell das ebenfalls wissen? Und würde sie es mir sagen, wenn dem so war?
Ich suchte die Nummer des Trianon-Hotels aus dem Telefonbuch. Die Frau in der Zentrale bat mich, meinen Namen zu buchstabieren und einen Augenblick zu warten. Als
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