Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
Frauen Männer, die ihre früheren Geschlechtsgenossinnen missbrauchten.
Aber selbst wenn man in der westlichen Welt vor der Aufklärung stets die weibliche Leidenschaft gefürchtet, sie manchmal auch gepriesen und in den Zwängen der Ehe sorgsam eingesperrt hatte â immerhin war zum Zweck weiblicher wie auch männlicher sexueller Befreiung von Englands frühen protestantischen Geistlichen der eheliche Beischlaf sogar exakt dreimal pro Monat verordnet worden, mit einer Woche Auszeit während der Menstruation. Was dann im Zuge des Viktorianischen Zeitalters folgte, war der gezielte Versuch, diese Leidenschaft auszulöschen. Erst kürzlich sind Historiker dahintergekommen, dass die Menschen im viktorianischen Europa und Amerika gar nicht so prüde waren, wie wir zu glauben geneigt sind. Was das weibliche Verlangen angeht, war es allerdings eine Zeit inbrünstiger Verleugnung. Wenn man alle Aspekte der Geschichte bedenkt, gab es dafür unzählige Gründe. Eine Erklärung lautet, dass um 1600 Wissenschaftler langsam mehr über das Ei und die Rolle der Eizelle in der Fortpflanzung erfuhren. Langsam, Schritt für Schritt, endete somit Galens Vermächtnis. So löste sich nach und nach die Fähigkeit der Frauen zu entflammen von ihrer Fähigkeit, schwanger zu werden. Die so lange herumspukende weibliche Libido wurde immer unnötiger. Sie lieà sich vermeintlich folgenlos auslöschen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschäftigten sich die aufkeimende Frauenbewegung und die Parolen evangelikaler Christen mit dem Thema der unbescholtenen weiblichen Sittlichkeit. Beider Stimmen verschmolzen zu einem Chor und verstärkten einander gleichzeitig. Die Feministinnen des 19. Jahrhunderts machten die Rettung der Menschheit, hier auf Erden und für immer, zu ihrer eigenen weiblichen Mission. Für die Christen stellte Fraulichkeit ein leuchtendes Vorbild dar. Die Amerikanerin Eliza Farnham, die unter anderem Gefängnisse reformierte, predigte: »Die Reinheit der Frau ist der ewige Damm, gegen den die Fluten der sinnlichen Natur des Mannes branden.« Ohne diese weibliche Blockade würde »fatale Unordnung« herrschen. Und die pädagogische Pionierin Emma Willard verkündete, es sei Frauen bestimmt, »um die heilige Mitte der Perfektion zu kreisen«, um Männer auf der richtigen Bahn zu halten. Ein viel gelesenes amerikanisches Handbuch für junge Bräute bringt den untrennbar verbundenen feministischen und evangelikalen Geist zum Ausdruck: Frauen seien »von übermenschlicher Natur, erhoben zu engelsgleichen Wesen«.
Das hatte nicht mehr viel zu tun mit: »Von Natur aus ist das AusstoÃen des Samens von viel Lust begleitet«. Eine natürliche, geradezu fromme Keuschheit hatte die einst so selbstverständliche Fleischeslust verdrängt. Die neue Rhetorik förderte und reflektierte einen Transformationsprozess. Mitte des 18. Jahrhunderts schrieb die Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe ihrem Mann einen Brief über die sexuellen Verfehlungen von Geistlichen überall in den östlichen Bundesstaaten. »Welch schrecklichen Versuchungen ist Dein Geschlecht ausgeliefert â bis jetzt hatte ich das nie erkannt, denn ich liebte Dich zwar, bevor ich Dich heiratete, mit einer schier wahnsinnigen Liebe, doch ich kannte oder verspürte nie das Pulsieren, das mir gezeigt hätte, dass ich in dieser Hinsicht versucht sein könnte. Nie gab es einen Augenblick, in dem ich irgendetwas empfand, womit Du mich vom Wege hättest abbringen können, denn ich liebte Dich so, wie ich nun Gott liebe.« Ungefähr zur gleichen Zeit erklärte der bekannte britische Gynäkologe und Sexualforscher William Acton, dass »zum Glück für die Gesellschaft die Mehrzahl der Frauen von sexuellen Gefühlen jeglicher Art kaum behelligt wird«.
Abgesehen von der medizinischen Wissenschaft, vom Feminismus und von der Religion hatte auch die industrielle Revolution immensen Einfluss auf die westliche Vorstellung davon, was es bedeutete, weiblichen Geschlechts zu sein. Klassenschranken brachen nieder; Männer konnten gesellschaftlich aufsteigen. Das verlieh der Arbeit und beruflichen Ambitionen einen Wert, den sie zuvor vielleicht noch nie besessen hatten, denn die Möglichkeiten waren quasi unbegrenzt. Und Arbeit erforderte â um auf Freud zu kommen, der ein Mensch des Viktorianischen Zeitalters war und auch wieder nicht
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