Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
Jahrtausende und noch bis vor einigen Hundert Jahren bestimmte Galens Auffassung die Wissenschaft. Das »gewisse Zittern« einer Frau galt Aetius von Amida, einem byzantinischen Arzt des 6. Jahrhunderts, als ein Schlüssel zur Zeugung. Der persische Gelehrte Avicenna, dessen Kanon der Medizin aus dem 11. Jahrhundert in aller Welt studiert wurde, sorgte sich, dass ein kleiner Penis ein Hinderungsgrund für die Fortpflanzung sein könne. Möglicherweise wäre die Frau davon nicht befriedigt und spüre nicht genug, um in selige Zuckungen zu geraten, »weshalb sie kein Sperma ausstöÃt, und wenn sie kein Sperma ausstöÃt, dann entsteht auch kein Kind«. Gabriele Falloppio, der italienische Entdecker der Eileiter (Fallopischen Röhren) im 16. Jahrhundert, wies darauf hin, dass eine missgebildete Vorhaut den Orgasmus der Frau und eine Befruchtung verhindern könnte.
Wie konnte sich Galens Auffassung so hartnäckig halten? Die lange Gültigkeit seiner Lehre erstaunt erst recht, wenn man bedenkt, dass heutzutage nur etwa ein Drittel der Frauen angibt, ausschlieÃlich durch Penetration zum Höhepunkt zu kommen. Widmeten die Männer und Frauen zu Galens Lebzeiten und noch lange danach der Klitoris während des Geschlechtsverkehrs besondere Aufmerksamkeit? Waren sie in den Möglichkeiten des vaginalen Orgasmusâ einfach versierter? Die uns vorliegenden Bruchstücke geben darüber keine Auskunft. Aber wenn man davon ausgeht, dass die sexuellen Fähigkeiten damals nicht besser waren als heute, haben Frauen dann niemals von sich aus geäuÃert, dass sie ohne das Zittern schwanger geworden waren? Hinweise auf und Theorien über Empfängnis ohne Lust gab es im Lauf der Zeit durchaus, aber irgendwie wurden Galens Erkenntnisse trotzdem nicht verdrängt. Im späten 16. Jahrhundert war ein Handbuch der Geburtshilfe mit dem Titel Aristotleâs Masterpiece, das Teiresiasâ weibliche Ãberlegenheit in Bezug auf die Ekstase wissenschaftlich bestätigte, in England weitverbreitet. Zur weiblichen Rolle bei der Empfängnis heiÃt es darin: »Von Natur aus ist das AusstoÃen des Samens von viel Lust begleitet, durch das Hervorbrechen schwellender Stimmung und Erstarren der Nerven.«
Trotzdem darf man dieses Eingehen auf die weibliche Sexualität, angefangen bei der Bibel, nicht als vorherrschende Moral welcher Epoche auch immer missverstehen. Die uralte Skepsis gegenüber weiblicher Lust und ihre Unterdrückung sind eine Geschichte, die hinlänglich bekannt sein dürfte. Da wäre zunächst Evas Rolle als erste Sünderin: Verführerin und Urgrund für die Vertreibung der Menschheit aus dem Paradies. Und Tertullian, der erste Kirchenvater des Christentums, der Evas Sündhaftigkeit auf alle Frauen übertrug. Es sei ihnen allen bestimmt, »die Einfallspforte des Teufels« zu sein. Oder nehmen wir Mosesâ Niederschriften der göttlichen Warnungen im Leviticus. Als die Juden auf ihrem Weg in das Land, wo Milch und Honig flieÃen, am Berg Sinai lagern, steigt Gott in einer Wolke herab und macht nachdrücklich klar, dass der Mittelpunkt der sexuellen Anatomie einer Frau von Grauen überquillt, allmonatlich mit einem Blutfluss, der so monströs ist, dass sie in Quarantäne muss: »Die soll sieben Tage unrein geachtet werden; wer sie anrührt, der wird unrein sein (â¦). Und alles, worauf sie liegt, solange sie ihre Zeit hat, und worauf sie sitzt, wird unrein sein.« Die Litanei über den Makel dauert unerbittlich an bis zu dem Urteil, dass jene, die den Fluss »aufdecken« und miteinander schlafen, vom Stamm verstoÃen und aus dem Volk Gottes ausgeschlossen werden.
Für die Griechen war Pandora die erste Frau. Von den Göttern aus Lehm geformt. Ihre erotische Anziehung und Gefahr â ihr »schönes Böses ⦠geschmückt mit Pracht aller Art«, wie der Dichter Hesiod es empfand, ihr »schamloser Geist und ihre falsche Natur« â machten sie ebenso gefährlich wie Eva. Vor Lust trunkenen Hexen des Mittelalters sagte man nach, sie hinterlieÃen Männer »glatt«, also ihrer Genitalien beraubt. Zu der langen Liste angeblich wahr gewordener Albträume, ausgelöst von weiblicher Fleischeslust, fügten französische und holländische Anatomen des 17. Jahrhunderts noch hinzu, dass zu viel Berührung aus der Klitoris einen ausgewachsenen Phallus mache und aus
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