Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
begehrt.
In Meanas Büro schaute das Mädchen von einem der beiden Vermeers mit einem schmalen, schüchternen Lächeln in den Raum, als wäre sie nicht sicher, ob überhaupt jemand sie beachtet. Auf dem anderen lächeln die volleren, leicht geöffneten Lippen überhaupt nicht. Das Mädchen zweifelt offenbar nicht daran, dass es beobachtet wird.
»Begehrt zu werden, ist der Orgasmus«, sagte Meana metaphorisch. Denn es ist ja gleichzeitig das, wonach man sich sehnt, und der Auslöser dieser Sehnsucht. Dass sie von diesem narzisstischen Antrieb so überzeugt war, hatte auch mit einem durch Vorhänge abgeteilten Bereich in ihrem Labor zu tun. Der Apparat darin schien eigentlich in eine Augenarztpraxis zu gehören. Ihre Probandinnen sollten dort das Kinn auf eine kleine Ablage betten, damit ihr Kopf sich nicht bewegte, und auf einem Bildschirm eine Reihe von Softporno-Bildern ansehen. Das Gerät zeichnete pro Sekunde hundertfach auf, wie die Augen sich bewegten und ob sie irgendwo verharrten.
Seit ein paar Jahren verglich die Wissenschaftlerin die Betrachtungsweisen von Frauen und Männern. Vor langer Zeit hatte sie ihren Master in Literatur gemacht und sich eigentlich vorgestellt, das Fach zu unterrichten. Aber wie sich herausstellte, ertrug sie es nicht, vor einer Klasse zu stehen und dafür sorgen zu sollen, dass ihre Schüler beim Lesen groÃer Werke das Gleiche fühlten wie sie selbst. »Ich wollte die Literatur nicht beeinträchtigen«, meinte sie. Also kehrte sie an die Uni zurück und eignete sich an, was sie wissen musste, bevor sie mit ihrer Promotion in Psychologie begann.
Im Rahmen einer von ihr veröffentlichten Studie hatten die heterosexuellen Probanden Bilder von Frauen und Männern beim Vorspiel betrachtet. Unter anderem auch ein Paar, das an einer Spüle stand, er hinter ihr, fest an sie gepresst, die Genitalien unsichtbar, während beide kaum mehr als ein bisschen Seifenschaum am Leib trugen. Beim Ansehen der Bilder hatten die männlichen Studienteilnehmer weitaus häufiger auf die Frauen geschaut, in ihre Gesichter und auf ihre Körper, als auf die Männer. Die Probandinnen schauten sich beide Geschlechter an, allerdings wurden ihre Augen eher von den Gesichtern der Männer und von den Körpern der Frauen angezogen. Wie es schien, um das Verlangen in der Miene der Männer und das begehrte Fleisch der Frauen zu sehen. Was die Frauen anheizte, war wohl männliche Begierde und die weibliche Macht, diese zu erzeugen.
Meana wollte das noch genauer untersuchen. Sie musste sicher sein, dass die Frauen die weiblichen Körper nicht nur deshalb studierten, um sie mit ihren eigenen zu vergleichen. Sie musste diesen Grund, den sie durchaus auch sah, aber für zweitrangig hielt, ausklammern. Sie musste nachweisen, dass ihre Probandinnen sich genau das ansahen, was sie scharf machte.
Eine Möglichkeit wäre gewesen, das Experiment zu wiederholen, während die Probandinnen masturbierten. Dann hätten sie ihre Augen sicherer auf das gerichtet, was ihnen einen erotischen Kick gab. Aber die Chancen standen gering, eine solche Studie durch den Untersuchungsausschuss der Universität zu bekommen, und selbst wenn, dann hätte sich Meana durch einen Versuch mit masturbierenden Frauen mit groÃer Wahrscheinlichkeit den Hohn der konservativen Presse von Las Vegas zugezogen. So eine Verunglimpfung hätte ihre komplette Forschungsarbeit gefährdet. Las Vegas ist ein widersprüchlicher Ort, dessen gesamte Werbung auf Kitzel basiert. Einerseits warten Prostituierte den Highway entlang in lizenzierten Ranches auf Kundschaft, andererseits herrscht trotzdem eine prüde Atmosphäre, eine Art Widerstand gegen die animalischen Impulse, die die Menschen überhaupt in die Stadt locken. Diese gespaltene Persönlichkeit wirkt wie eine extreme Variante des Risses, der das ganze Land teilt. Das macht die doch allgegenwärtige Erotik so schwer analysierbar.
Für Chivers war das ein Grund, warum sie, obwohl sie ihren Doktortitel und ihre ersten Experimente mit Plethysmographen in den USA gemacht hatte, nach dem Promotionsstudium wieder in ihre Heimat Kanada zurück kehrte. Während der Jahre in den Vereinigten Staaten war ihre Forschung Zielscheibe des Spotts gewesen. Die Wa shington Times hatte dagegen protestiert, dass ihre Ar beit unter anderem mit Geldern der Regierung bezahlt worden war. »Staatlich geförderte
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