Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
ob beim Säubern des Genitalbereichs oder beim Liebkosen oder Umarmen. »Die Mutter würde wahrscheinlich erschrecken«, führt Freud weiter aus, »wenn man ihr die Aufklärung gäbe, dass sie mit all ihren Zärtlichkeiten den Sexualtrieb ihres Kindes weckt und dessen spätere Intensität vorbereitet. Sie hält ihr Tun für asexuelle âºreineâ¹ Liebe, da sie es doch sorgsam vermeidet, den Genitalien des Kindes mehr Erregungen zuzuführen, als bei der Körperpflege unumgänglich ist.« Aber »verstünde die Mutter mehr von der hohen Bedeutung der Triebe für das gesamte Seelenleben, für alle ethischen und psychischen Leistungen, so würde sie sich übrigens auch nach der Aufklärung alle Selbstvorwürfe ersparen. Sie erfüllt nur ihre Aufgabe, wenn sie das Kind lieben lehrt.«
Die erotische Energie von Mädchen wird laut Freud bald über komplizierte emotionale Wege von der Mutter auf den Vater umgelenkt. Die ursprüngliche Lektion bleibt jedoch präsent; die sexuelle Anziehung der Mutter wird nie gelöscht.
Melanie Klein führte Freuds Ãberlegungen weiter. Für ihn waren bei der Beschreibung des Seelenzustands von Mädchen und Jungen das Stillen und die Brust letztlich deutlich weniger wichtig als der Phallus beziehungsweise dessen Fehlen. Vielleicht war es ja unvermeidlich, dass Freud als Mann den Phallus über alles andere stellte und es eine Psychoanalytikerin brauchte, um das zu hinterfragen. Aber vielleicht ist Kleins Ansicht auch nicht nur in ihrem Ge schlecht begründet, sondern erklärt sich aus ihrer klini schen Arbeit mit kleinen Kindern. Sie beobachtete die Seele noch sehr früh in ihren Anfängen, während Freud die Kindheit eher ausgehend vom Leben seiner erwachsenen Patienten rekonstruierte. Klein stellte sich eine Brust vor, die das ganze Gesichtsfeld des Kindes einnimmt. Alles andere verschwindet dahinter. Die Brust beruhigt und verweigert sich, sie verführt und weist zurück, sie schenkt sich und zieht sich zurück, sie lehrt Liebe und Wut. Sie war »verschlin gend ⦠überreich ⦠unerschöpflich ⦠verfolgend« â sie dominiert unser frühestes Bewusstsein und gibt diese überragende Rolle eigentlich nie auf.
Freud glaubte, homosexuelle Anziehung bei Frauen liege in deren kindlichen Erfahrungen begründet. Sowohl seine als auch Kleins Schriften liefern eine Erklärung für das verstärkte Pulsieren des Bluts, wenn Chiversâ Probandinnen zwei Frauen oder auch nur eine auf dem Bildschirm betrachteten. Die Brust als erster Ort des Verlangens; sie gehörte zum Körper einer Frau. Wir alle sind wohl auf der Suche nach der »Wiederfindung«.
Die Mutter bei Freud und noch mehr bei Klein stützt Meanas Ãberlegungen zum sexuellen Narzissmus bei Frauen. Ob als Probandinnen in ihrem Labor oder auf der Casino-Bühne, ob als fast nacktes Model beim Abspülen oder als Schwimmerin, die oben ohne in ein riesiges Champagner glas taucht â Frauen machen sich unbewusst, stellvertre tend zu Empfängerinnen des unbändigen Verlangens, das sie selbst einst nach dem Körper ihrer Mutter verspürten. Sie eignen sich die erotische Allmacht ihrer Mütter an.
An einer der Wände im Labor, auÃerhalb des mit Vorhängen abgeteilten Bereichs, wo die Pupillenbewegung der Probanden gemessen wurde, hing das Poster eines Annie-Lennox- Konzerts, das Meana besucht hatte. Ich hatte, während Meana sprach, zwischendurch Lennoxâ durchdringende, beschwörende Stimme, ihre unerschrockenen Texte, den kalten, elektronischen Sound ihrer Band im Ohr. »Sweet dreams are made of this; who am I to disagree«, singt Lennox. Dann schildert sie urteilsfrei, ohne zu lamentieren, einige der unausweichlichen Realitäten der Begierde. Meanas Gesicht ist rundlich, Lennoxâ mager, die Ponyfrisur der Wissenschaftlerin ist verspielt, während Lennoxâ Haar knapp über der Kopfhaut abrasiert ist. Und Meanas Stimme hat nicht diese permanente Beharrlichkeit. Beiden gemein ist allerdings die Ungeduld bezüglich der Märchen, die die Leute sich über Lust erzählen. Meanas Mimik ist sehr expressiv. Gelegentlich verzog sie den Mund, schnitt fast eine Grimasse, wenn sie über die Legion der Paartherapeuten sprach, die immer noch an der Vorstellung festhalten, dass insbesondere für Frauen gröÃere Nähe zu besserem Sex führt.
Empathie,
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