Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
die Psychiater-Bibel, das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders ( DSM ), dabei, ihr Denkmodell aufzunehmen. Dieser dicke Wälzer erfasst die Kriterien für psychische Krankheitszustände von Autismus bis zu sexuellen Funktionsstörungen; das DSM trennt Normales vom Abnormen. In ihrem Schaubild zeichnet Basson ein Bild weiblichen Verlangens, das die Eigenschaft hat, sich langsam aufzubauen. Es sei das Ergebnis einer Reihe von Entscheidungen und kein Trieb. »Wir reden hier nun mal nicht von einem angeborenen Hunger«, sagte sie.
Das komplizierte Bild sollte Schritt für Schritt das Voranschreiten einer erfolgreichen sexuellen Begegnung für Frauen erläutern. Los ging es mit einem Kästchen oberhalb des Kreises. Darin stand â als Beginn der Begegnung â die Ãberschrift »Gründe für Sex«. Pures Verlangen war ein unwahrscheinlicher Grund, aber er kam zumindest unter den Möglichkeiten vor. Sehr viel wahrscheinlicher, meinte Basson, während sie weiterzeichnete, würde die Frau eine zielorientierte Rechnung anstellen, und zwar in der Hoffnung auf Ergebnisse wie »positive Emotionen, sich geliebt fühlen«. Um etwa zwei Drittel des Kreises herum schrieb sie das Wort »Erregung« und endlich auch »Verlangen«. Zu diesem späten Zeitpunkt kamen dann noch physische Empfindungen, Lust und Wollen hinzu. Das hinge jedoch davon ab, ob der Partner »Respekt« zeige, ob die Frau sich »sicher« fühle, ob das Paar sich in »einem angemessenen Kontext« bewege und davon, ob die Berührungen des Partners rücksichtsvoll, einfach genau richtig seien. Als ich ihr so zuhörte, stellte ich mir automatisch Schnittblumen als Geschenk, ein Schlafzimmer mit allenfalls gedämpfter Beleuchtung, eine Ehefrau, die hauptsächlich kuscheln will, und einen sie sanft liebkosenden Ehemann vor.
Und was war der Höhepunkt? »Sexuelle Befriedigung +/- Orgasmus« stand im Diagramm, aber in einigen Versionen war das nicht einmal Teil der Hauptpunkte des Schaubilds. Das Körperliche oder Fleischliche zählte nicht so sehr. Am Ende standen »nicht-sexuelle Belohnungen ⦠Nähe«.
Für Basson sah so der Naturzustand weiblicher Sexualität aus. Diese Annahme fuÃt jedoch nicht auf formeller Forschung. Sie erklärte mir, sie habe die Grafik auf der Basis ihrer eigenen klinischen Erfahrung entwickelt und weil dankbare Patienten sie gebeten hatten, diese doch unbedingt zu veröffentlichen. Doch während es schien, als repräsentiere ihr Diagramm zwar die glanzlose Realität in den Schlafzimmern vieler Frauen, widersprach ihre Annahme, damit ein Bild von etwas Angeborenem gezeichnet zu haben, den unmittelbaren Reaktionen von Chiversâ Proban dinnen, der überschäumenden Geilheit von Wallens Affen und Pfaus Ratten. Sie lieferte stattdessen ein goldig bescheidenes Porträt, das die Psychiatrie-Branche â von den Herausgebern des DSM bis hin zu Scharen von Sextherapeuten â seltsamerweise als etwas Kluges und Neues lobte.
Die Gründe für diesen Rückschritt waren ästhetischer und politischer Natur. Bassons Kreis ersetzte eine Linie, ein Schaubild â das man Masters und Johnson sowie der Psychotherapeutin und Sexualforscherin Helen Singer Kaplan zuschrieb â, das lange Zeit auf Männer und Frauen angewandt worden war. Es stellte Folgendes dar: Verlangen (an fangs eher schwach), danach körperliche Erregung und schlieÃlich Lust. Dieses lineare Schaubild konnte man aus einer gewissen feministischen Perspektive phallisch und patriarchalisch nennen, in seiner Symbolik definitiv unweiblich, und Basson hatte wenigstens eine Alternative dazu geliefert. Auch wenn ihre lustfreie Frau eigentlich schon ein Paradebeispiel des Viktorianischen Zeitalters darstellte.
Ein weiterer Grund war der heldenhafte Kampf »David gegen Goliath«, den einige Therapeuten nach eigener Ansicht gegen die Pharmaindustrie kämpften, und zwar weil diese danach gierte, etwas, das vage als Viagra für Frauen bezeichnet wurde, zu finden, von der FDA genehmigen zu lassen und zu vermarkten. Seit Pharmafirmen ab den späten Neunzigerjahren begonnen hatten, Milliarden mit ei ner Chemikalie zu scheffeln, die auf die Kapillaren im Penis wirkt und so die Erektion unterstützt, waren Unternehmen auf der Suche nach einem Ãquivalent für Frauen. Aber das hatte nicht so gut funktioniert, da die sexuellen
Weitere Kostenlose Bücher