Die Versteckte Stadt: Thriller
Verletzungen weisen darauf hin - dass Nadja … dass sie gejagt worden ist. Sie und das zweite Opfer. Gejagt und ermordet.“
Der Junge scheint sich Butz‘ Worte durch den Kopf gehen zu lassen.
„Warst du denn eng mit ihr befreundet?“
„Wie gesagt, jeder wäre interessiert daran gewesen, aber Nadja hielt alle auf Abstand.“
„Hat sie denn nichts erzählt - nichts, was dir aufgefallen ist? Was hat sie denn den ganzen Tag lang gemacht?“
Der Junge malt im Staub auf dem Boden.
„Hm?“ Butz berührt ihn leicht mit dem Ellbogen.
„Naja okay, das stimmt schon“, der Junge sieht nicht auf, „zuletzt hat sie wohl ein paar von den Bod Mods getroffen … “
„Von den was?“
„Bod Mods - Body Modification?“
„Tattoos und so.“ Butz hat eine ungefähre Vorstellung.
„Tattoos, aber auch Implantate, Skarifizierungen, die machen ja alles Mögliche.“
„Mit denen hat sie sich getroffen.“
„Ich hab sie gefragt, ob sie mich mal mitnimmt. Sie hatte mir erzählt, dass die wohl ziemlich weit gehen - ich dachte, das könnte vielleicht spannend sein - aber sie wollte nicht.“
„Dich mitnehmen.“
Der Junge nickt.
„Wohin denn mitnehmen - hat sie das gesagt? Wo sie die getroffen hat?“
Der Junge lässt den Kopf ein wenig kreisen.
„Hm?“
„Nee, nichts.“
„Was nichts?“
Butz kann die Augen des Jungen durch das Halbdunkel schimmern sehen. Draußen beginnt es langsam Abend zu werden.
„Sie meinte in der Stadt, sie würde sie in der Stadt treffen.“
„In welcher Stadt?“ Butz hört den Jungen ausatmen. „In Berlin?“
„Nicht in Berlin - also - doch, schon, aber … “ Wieder verliert sich die Stimme des Jungen.
„Hä?“ Butz stößt ihn nochmal freundschaftlich in die Seite - und meint fast, seine Rippen am Ellbogen spüren zu können.
„Ach kommen Sie, Sie wissen doch schon“, hört er ihn leise sagen.
„Was?“
„Das hat sie gesagt.“
„Was hat sie gesagt?“ Butz fühlt, wie seine Muskeln verkrampfen. Aber was soll er tun? Es aus dem Jungen herausprügeln?
„Dass sie sie in der versteckten Stadt treffen würde.“
„In der versteckten Stadt? “
„Hmhm.“
Butz‘ Handflächen werden feucht. Es ist nicht das erste Mal, dass er davon hört: Von der versteckten Stadt. Aber bisher hat er es immer nur für ein Gerücht gehalten.
„Ist das nicht nur ein Gerücht - dass es die gibt.“
Der Junge neben ihm hat wieder den Kopf sinken lassen. Butz sieht, wie er die Hand an die Nase hebt, hineinschnäuzt und sich die Finger an der Hose abwischt.
„Zu Tode gehetzt.“ Die Stimme des Jungen klingt belegt, leise und wie verschleiert. „Sie haben sie echt zu Tode gehetzt.“
Butz legt ihm vorsichtig einen Arm um die Schulter.
Ja, so ist es wohl gewesen.
BERLIN GOTHIC 2
Zweiter Teil
1
Rückblende: Vor zwölf Jahren
Till rührte in seinen Cornflakes. Im oberen Winkel seines Blickfeldes hatte er Bentheim im Auge. Er hatte sich angewöhnt, ihn zu beobachten, ohne direkt hinzuschauen. Max‘ Vater wirkte noch ein wenig blasser als sonst, seine dünnen Hände zupften wieder und wieder an der Serviette, die neben seinem Teller lag, er klapperte mit seiner Kaffeetasse, fuhr sich durch die Haare. Irgendwann spät in der Nacht war Till eingeschlafen, aber die Geräusche der Gäste im Erdgeschoss waren in seinem Zimmer noch lange zu hören gewesen.
Till warf Max einen Blick zu und bemerkte, dass auch er seinen Vater im Auge behielt. Als Max‘ Blick ihn traf, wanderten Tills Augen zurück zu Bentheim. Er wirkte im Grunde genommen ganz normal, ein wenig ausgehöhlt vielleicht, ein wenig nervös, aber in dem lässigen Anzug, mit dem gebügelten Hemd und der weinroten, dünnen Krawatte sah er aus, als wäre alles, was ihm Sorgen bereitete, die Arbeit, der er nachging, die ihm zugleich aber auch eine Menge Geld einbrachte. Nur wenn man genauer hinsah, dachte Till, wenn man sich von Bentheims Blick nicht gleich abschrecken ließ, sondern ein wenig länger in seine Augen sah, wenn man sich klarmachte, wie groß die Pupillen waren, wie grau das Weiße des Auges, wie tief die Falten, die die Augenhöhlen durchzogen, konnte man auf die Idee kommen, dass es mehr als nur berufliche Sorgen waren, die den Mann quälten. Dass es Ängste sein mochten, Ängste, die man normalerweise hinter sich ließ, wenn man die Kindheit hinter sich ließ, bohrende, sägende Qualen, die eine Unruhe in ihn hineinschossen, der er manchmal vielleicht glaubte nicht
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