Die Versteckte Stadt: Thriller
nur in Ruhe mit ihm reden wollte. Nicht in seinem Zimmer, nicht in Tills Zimmer und auch nicht im Garten, sondern weg von dem Grundstück, auf dem sich auch an diesem Vormittag wieder sein Vater nach dem Frühstück zu seinem Gartenhaus begeben hatte.
Nachdem sie eine Weile durch den Grunewald geradelt waren, stoppte Max und stieg ab. Till folgte ihm vom Weg herunter in den Wald, wo Max sein Rad schließlich ins Laub fallen ließ und sich auf einen Baumstamm setzte. Aus dem kleinen Rucksack, den er dabei hatte, holte er ein schwarz eingebundenes Bändchen hervor und reichte es Till. Till wusste bereits, dass Max noch einmal in dem Keller gewesen war, und Max brauchte ihm nicht zu sagen, dass er das Büchlein dort unten entdeckt hatte. Till zog das Gummiband zurück, mit dem es verschlossen war, und öffnete vorsichtig den Einband. Es war eine Art besseres Schreibheft, die Seiten waren zwar nicht geklebt, sondern gebunden - aber nicht bedruckt. Stattdessen bestand das Büchlein aus karierten Blättern, die mit einer feinen, prägnanten und gut leserlichen Handschrift beschrieben worden waren. Till blätterte zur ersten Seite.
„März 1947, Haiti“, stand dort.
Er sah zu Max. Der hatte die Hände auf die Knie gestützt und blickte in den Wald.
Till schaute zurück in das Büchlein. „Katharina unverändert“, las er. „Hätte ich sie nicht herbringen dürfen? Das Wetter ist schon jetzt unerträglich heiß. Sie redet kaum, und was sie sagt, spricht sie undeutlich - fast möchte ich sagen schluderig - aus, ich kann sie oft nicht verstehen. Aber sie ist ungeduldig, wiederholt nie, was sie gesagt hat. Wenn ich nachfrage, wendet sie sich ab. Die Hitze scheint ihr nichts auszumachen. Trete ich aus dem Schatten in die Sonne, fühle ich mich wie ein Hummer, der bei lebendigem Leibe in einen Topf siedenden Wassers geworfen wird. Katharina hingegen sitzt auf unserer Terrasse in der Sonne, den Kopf in den Nacken gelegt, als trinke sie die Strahlen. Auch wenn ihr Körper schweißbedeckt ist, weicht sie ihnen nicht aus. Habe mit Dr. Gerrit gesprochen, der sagt, dass es ihr nicht schaden kann, solange sie den Kopf vor der Sonne schützt.“
Till sah auf. „Katharina? Wer ist das?“
„Die gleiche Frau, die in dem Film im Labor zu sehen ist.“ Max blickte unverwandt geradeaus. „In dem Karton, in dem sich der Film befand, lagen auch zehn oder zwanzig von diesen Tagebüchern. Ich habe ein paar von ihnen überflogen. Es geht fast nur um sie. Um Katharina.“
Till schaute zurück in das Buch und las weiter. „Gerrit. Ist er der richtige Mann? Seit zwei Monaten ist sie bei ihm in Behandlung, ohne dass eine Besserung erkennbar wäre. Im Gegenteil. Fast scheint es, als verschlechtere sich ihr Zustand, wenn auch nicht stündlich, so doch von Woche zu Woche. Wie soll ich es beschreiben? Sie wirkt abgestumpft, lethargisch. Nicht müde, aber wie durch eine seltsame Kraft verlangsamt. (Ich hätte es niemals soweit kommen lassen dürfen!) Willenlos. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, als habe sich Katharina, meine geliebte Frau, aus dem Körper, der dort in der Sonne brät, bereits davongeschlichen.“
Till hob das Bändchen hoch, damit Max die Seite sehen konnte. Der Schreiber hatte – offenbar in einem Anfall von Wut und Verzweiflung - mit seinem Bleistift breit und fest über die Seite gekratzt, ein Abbild der Unfähigkeit, sich zu bändigen, ein Gekrakel wie von einem Kind, ein Ausbruch, der zeigte, dass die Kraft nicht mehr ausreichte, um die Gefühle und Ängste, die auf ihn einströmten, in eine lesbare, verständliche Formulierung zu zwängen.
Max nickte. Till blätterte um. Auch die nächsten beiden Seiten waren mit fetten, schwarzen Strichen bedeckt. Er blätterte weiter.
„23.3.
Heute im Café in der Stadt gewesen. Einen Amerikaner kennengelernt, der in der Nähe von Cap-Haïtien eine Plantage besitzt und mit einigem Erfolg dort Kaffee und Zuckerrohr anbaut. Housten sein Name. Er sagt, seine Eingeborenen erzählen sich krauses Zeug über Katharina. Er lässt vorwiegend Leute, die aus Afrika stammen, bei sich arbeiten. Sie leben inzwischen seit ein, zwei Generationen in der Karibik, haben aber Legenden, krude Vorstellungen, rudimentäre Religion aus ihrer Heimat mitgebracht. Housten sagt, sie würden beobachtet haben, wie Gerrit Katharina seit Wochen behandelt. Sie glauben, der schweizer Arzt sei schuld an ihrem Zustand. Er, Housten, habe versucht, ihnen zu erklären, dass meine Frau krank und deshalb hier
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