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Die Versteckte Stadt: Thriller

Die Versteckte Stadt: Thriller

Titel: Die Versteckte Stadt: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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dann trat er zurück und begann, an dem Labortisch das Instrument, das er benutzt hatte, zu säubern.
    Da er dem Stuhl, in dem die Frau saß, den Rücken zugewandt hatte, konnte er für einen Moment nicht sehen, was passierte. Sie musste in ihren Bewegungen absolut lautlos gewesen sein, sonst hätte er sich mit Sicherheit sofort umgesehen. Stattdessen aber sah nur Max, was geschah. Erst beugte sich ihr Kopf nach vorn. Als kostete es sie unendliche Mühe, zog sie die Lider empor, die über ihre Augen gerutscht waren. Ihr Gesicht wirkte schlaff, beinahe wie schlafend, die Züge erinnerten an eine Marionette, deren Fäden durchschnitten worden waren. Sie machte den Eindruck einer Hypnotisierten, als sei sie nicht Herr ihrer Sinne, als würde eine fremde Macht Besitz von ihr ergriffen haben. Mit schweren, fließenden Bewegungen begannen sich ihre Arme zu heben, die Hände schlaff herabhängend, die Arme aber durchgedrückt. Und plötzlich stand sie. Ohne dass Max gesehen hätte, wie sie ihr Gewicht verlagert hatte, war sie wie herausgestoßen aus dem Sessel auf die Füße gekommen, die Lider schwer, das Gesicht wächsern.
    Max hielt den Atem an. Die ganze Erscheinung der Frau, ihre Haltung, die ihn unwillkürlich an eine Marionette, einen seelenlosen Leib erinnerte, ihr Gesicht, das wie unter einer Wachsschicht verborgen wirkte, ihre seltsam willenlosen Bewegungen – all das erinnerte ihn vage an Alpträume, die er gehabt hatte, an Fieberphantasien, an längst verschollene Spukfilme, die er als kleines Kind vielleicht gesehen oder sich vorgestellt hatte. Doch durch all diese diffusen Assoziationen hindurch war das, was er in dem Lichtrechteck vor sich sah, von einer beklemmenden, beunruhigenden Wirklichkeit. Von einer Realität, die all das, an was er sich zu erinnern glaubte, beinahe in sich aufsog, die sich über diese Erinnerungen und Ahnungen stülpte und diese verschwimmenden Vorstellungen gleichsam zu binden schien. Max war sich sicher: Wann immer er versuchen würde, sich an die Ahnungen zu erinnern, die er vorher schon gehabt hatte, würde sich das Bild, das er gerade sah und das sich ihm wie ein überheller Blitz einbrannte, davor schieben: Das Bild einer Frau, die zutiefst erkrankt war, in die sich das Kranksein hineinzufressen schien, wie ein blindes, seelenloses, unaufhaltbares Etwas.
    Auch wenn sie vielleicht nichts davon spürte, so zeichnete sich die Veränderung, der ihr Körper unterworfen war, die Verwandlung, die in ihr vorging, doch in ihrem Gesicht ab. Es war noch immer ihr Gesicht, das Gesicht der Frau, die sich vor wenigen Minuten in den Sessel gesetzt hatte. Doch ihre hübschen Züge, die Max zuerst unwillkürlich angezogen hatten, erschienen ihm jetzt wie eine Schale, die abplatzte, während darunter etwas zum Vorschein kam, das wie eine Uminterpretation dieser Züge wirkte. Eine Umdeutung, die aus allem Feinen, allem Liebenswerten, Offenen, Sensiblen, Respektvollen, etwas Entseeltes, Verschlossenes, Wächsernes, Blindes, Unansprechbares machte.
    In dem Moment musste der Mann sie gehört haben, denn er fuhr herum, in den Händen eine Glasschale, die ihm entglitt, als er sie hinter sich stehen sah. Er schien ihren Namen zu rufen – doch damit erreichte er sie nicht mehr. Wie gequält durch den Anblick der Frau wich er zurück, mit den Armen nach hinten greifend, sich auf dem Labortisch abstützend.
    Gleichzeitig ertönte ein lautes Ratschen dicht neben Max. Als ob er sich verbrüht hätte, fuhr er zusammen, ließ die Kurbel los und sah zur Seite. Ein hektisches Peitschen war zu hören, das rechteckige Lichtfeld aufgelöst in einen diffusen Schimmer. Die hintere Filmspule rotierte noch immer - während das Ende des Filmstreifens, der gerade durch den Projektor hindurchgerutscht war, bei jeder Umdrehung mit unangenehmen Peitschen gegen das Metall des Geräts klatschte.
    Dann war es still. Max hatte die Spule zum Stehen gebracht. Und der Lichtschimmer versank.
     


     
    „Ich weiß nicht, was es ist, Till, aber es ist nicht mein Vater.“
    Sie waren mit den Rädern unterwegs. Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen. Den Grunewaldsee hatten sie bereits hinter sich, jetzt ging es Richtung Glienicke.
    Max trat fester in die Pedalen, Till radelte neben ihm her. Er benutzte noch immer Lisas Rad, es war ihm etwas zu klein und hatte auch nur drei Gänge, aber er hielt mit.
    Max hatte darauf bestanden, dass sie die Tour machten. Till hatte begriffen, dass Max kein bestimmtes Ziel angepeilt hatte, sondern

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