Die Versteckte Stadt: Thriller
sei. Weil man hoffe, dass das Klima ihr gut tue. Aber seine Leute wollten davon nichts wissen, sagt er. Sie hätten sogar ein Wort für sie. Ein Wort aus ihrer Sprache, dem Kimbundu, welches genau, wusste er nicht.“
Till blätterte weiter.
„29.3.
Endlich Gerrit aufgesucht. Ihn wegen der Gerüchte angesprochen, die Housten mir erzählt hat. Der Arzt hat gelacht. Behauptet, nicht zu wissen, wieso die Afrikaner ihn für eine Art ‚Sorcerer‘ hielten. Wahrscheinlich sei für sie Medizinmann eben Medizinmann, egal, welche Praktiken er ausübe - ob es nun die der Medizin Europas seien oder die magischen Rituale der Voodoo-Meister. Was Katharinas Zustand angeht, konnte er mir nicht wirklich Hoffnung machen. Das Klima wirke sich zwar vorteilhaft auf ihren Gesundheitszustand aus. Das beträfe aber sozusagen nur den körperlichen Aspekt. Sie sei absolut ‚fit‘, wie er sich ausdrückte (und für einen Augenblick musste ich denken, dass die Eingeborenen vielleicht auf irgendeinem Weg doch einen Zipfel der Wahrheit erwischt hatten. Was machte er mit meiner Frau in den Stunden, in denen ich sie ihm zur Therapie überließ?), ihr Geist aber mache den Eindruck, als würde er sich weiter und weiter von uns entfernen.“
Till ließ das Buch sinken und sah Max an. „Soll ich jetzt das ganze Büchlein durchlesen, oder was?“
Max schwang ein Bein über den Baumstamm, so dass er rittlings darauf zu sitzen kam. „Der Mann, der das geschrieben hat, heißt Otto Kern, das habe ich in einem anderen Bändchen gefunden, in dem er vorn seinen Namen notiert hat. Das ist derselbe Mann, der auch auf den Tierfotos zu sehen ist, die wir in dem Kellerzimmer gefunden haben.“
Till klappte das Büchlein zu und reichte es Max. „Aha.“
„Und es ist derselbe Mann, der auf dem Film zu sehen ist, von dem ich dir erzählt habe. Der Mann, der seine Frau im Labor behandelt hat.“
Till schwieg.
„Ich habe jetzt nur dieses Büchlein mitgenommen“, fuhr Max fort, „aber in einem anderen, das auch in dem Karton war, in einem von 1958, da schreibt er, wie er wieder zurückgekehrt ist nach Berlin.“
Till kniff die Augen zusammen. Langsam begann die sommerliche Hitze durch das grüne Dach der Blätter hindurchzustrahlen. „Wollen wir gleich zum See schwimmen fahren?“, fragte er.
Max zippte seinen Rucksack auf und verstaute das Tagebuch wieder darin. „Weißt du, was ‘58 geschehen ist?“
„Ihm ist das Gleiche passiert wie seiner Frau“, platzte es aus Till heraus.
Max warf den Rucksack auf den Boden. „Genau! Und er hat darüber Buch geführt … “, seine Stimme senkte sich ein wenig, „ … darüber, wie er sich verändert hat.“
Till nickte. Abgefahren. Verändert. Aber Max sprach schon weiter.
„Es verläuft schleichend, schreibt er. Es ist schwer zu verstehen, was er meint.“ Max‘ Blick wanderte an Till vorbei in den Wald, in dem sich die schräg einfallenden Sonnenstrahlen mit tanzenden Pollen füllten. „Seitenlang berichtet er davon, wie gesund er sich fühlt, wie kräftig, als würden all seine Ressourcen gebündelt. Er klingt richtig euphorisch - “
„Euphorisch.“ Manchmal verwendete Max Worte, die Till nicht so recht einzuordnen wusste.
„Glücklich, beflügelt. Als wäre er zu allem bereit. Nicht ganz er selbst, muss man auch sagen. Aber dann gerät er in Tiefs, wirkt niedergeschlagen, beklagt, dass vieles von dem, was er geschätzt hat und ihm wichtig war, verloren gegangen sei.“
„Was denn?“ Till konnte seinem Freund kaum noch folgen.
Max schüttelte nachdenklich den Kopf. „Dass er nicht mehr zögern können würde?“ Er warf Till einen Blick zu. „Das scheint ganz wesentlich gewesen zu sein. Nicht mehr innehalten, nicht mehr grübeln, zweifeln. Aber auch gefreut zu haben scheint er sich nicht mehr so richtig. Er schreibt davon, dass er sich plötzlich fragt, was Liebe ist. Die verschiedensten Empfindungen, von denen er noch weiß, dass sie ihm früher selbstverständlich waren, kommen ihm plötzlich wie etwas vor, das er nur noch von anderen kennt, das er mit sich selbst jedoch nicht mehr in Verbindung bringen kann.“
„Zum Beispiel?“
„Die einfachsten Sachen. In einer Landschaft stehen bleiben und entdecken, dass sie schön ist, nennt er als Beispiel. Oder Trauer. Trauer über eine erschlagene Fliege. Oder Mitleid, Mitleid mit Katharina, die sich zunehmend in ihrem benommenen Zustand zu verlieren schien. Geduld, Nachsicht, Skrupel - alles ganz normale Regungen, die er mit
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