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Die Versteckte Stadt: Thriller

Die Versteckte Stadt: Thriller

Titel: Die Versteckte Stadt: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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einem Mal als unverständlich empfindet, als etwas ihm Fremdes, als etwas Aufgesetztes, Hinderliches, ja geradezu Lächerliches. Stattdessen sind andere Empfindungen, die bei ihm zuvor eher im Hintergrund eine Rolle spielten, mit einem Mal ungeheuer wichtig geworden.“
    Till versuchte den Ausführungen seines Freundes so gut es ging zu folgen. „Gier. Wollust. Aktion“, hörte er Max sagen. „Kern schreibt, dass es fast wie ein Rausch ist. Nicht länger grübeln, sondern handeln. Nicht länger bewerten, sondern vollziehen. Nicht länger verstehen, sondern machen.“
    „Was machen?“
    „Egal, Hauptsache loslegen, agieren, durchführen, machen eben.“
    Till grübelte.
    „Er schreibt, dass er keine Empfindung für Schönheit mehr habe. Für Gerechtigkeit. Der Unterschied zwischen Wahrheit und Falschheit würde verschwimmen. Es gäbe nicht mehr das Gefühl, einer Welt gegenüber zu stehen - stattdessen würde er von der Gewissheit überflutet, Teil der Welt zu sein, Teil ihrer Bewegung, ihrer Entwicklung. Als würde sich die Welt sozusagen in ihn hinein fortsetzen, so wie sie sich in einen Baum hinein fortsetzt, der auf einem Acker steht. Der Abstand, den er früher zur Welt habe gewinnen können, sei gewissermaßen auf Null geschrumpft und er sei so etwas wie in sie hineingezogen worden – wie ein Tier, das sich von seinen Trieben nicht lösen kann.“
    Wahnsinn.
    „Zugleich aber habe er gespürt, dass er fanatischer sei als ein Tier, durchdrungen von einem Fanatismus, wie nur Menschen ihn kennen. Tiere würden irgendwann Ruhe geben, schreibt er, sie erfüllten sich nur ihre Bedürfnisse. Das sei ihm jedoch nicht mehr genug, ihn habe eher eine Art Besessenheit gepackt. Unersättlich, unbezwingbar, unkontrollierbar.“
    „Und das war gleich von Anfang an so? Wodurch genau ist die Veränderung denn ausgelöst worden - darüber schreibt er nichts?“
    Max schüttelte den Kopf. „Er beschreibt nur, dass es ganz langsam begonnen hat. Was ich überflogen habe, sind Eintragungen von 1958, ‘59 und ‘60. Am Anfang, in den ersten Tagen, dachte er, es sei eine schlichte Form von Übelkeit, die rasch wieder verfliegt. Erst allmählich ist ihm bewusst geworden, wie tiefgreifend die Veränderung ist. Erst allmählich, sagt er, habe ihn eine Ahnung von dem erfüllt, was ihm bevorstehe. Habe er gespürt, dass etwas Unaufhaltbares im Gange sei, dass er sozusagen im Wettlauf mit der Zeit seine Empfindungen und seine Ängste notieren müsse - “
    Max brach ab. „Es muss ziemlich schlimm gewesen sein“, fuhr er nach einer Weile fort.
    Till hatte sich zurückgelehnt, die Arme hinter seinem Rücken auf den Baumstamm gestützt.
    Max wischte sich über die Nase. „Du müsstest seine Schrift sehen. Nicht hier, in diesem Heft von 1947, sondern später, nachdem es auch bei ihm angefangen hat. Als er beschreibt, dass er nicht weiß, warum ihm schlecht ist, im Jahr ‘58, ist die Schrift noch gestochen scharf, absolut gerade verlaufen die Zeilen über das Papier. Aber dann … die Buchstaben werden immer dünner, immer länger … “ Max‘ Augen weiteten sich. „Zum Teil schleichen sich Worte in seine Sätze, die ich nicht nur noch nie gehört habe, sondern die es gar nicht gibt . Dann wieder torkeln seine Worte über das Papier, als sei er nicht Herr seiner selbst gewesen, als er sie schrieb, aber wenn man sich die Sätze ansieht, sind sie durchaus verständlich und nur die Rechtschreibung ist entgleist. Andere Male wieder wirken die Sätze vollkommen korrekt, aber die Wörter sind so zusammengesetzt, dass sie überhaupt keinen Sinn ergeben. Dann wieder gibt es Momente, in denen er glasklar feststellt, dass etwas Unbegreifliches mit ihm vorgeht, und in denen deutlich wird, was für Qualen er aussteht. Dass er es bereut, nicht früher etwas dagegen getan zu haben, dass aber der Teil von ihm, der bereut, immer kleiner wird! Immer mehr von dem anderen Teil, von dem entschlossenen, neuen, an den Rand gedrängt wird! Sodass er das Gefühl hat, sich beeilen zu müssen, weil die Fähigkeit, überhaupt zu erleben, was mit ihm geschieht, immer schwächer wird … “
    Till stand auf, so dass er auf Max, der sitzen geblieben war, herabblicken musste. „Aber deshalb brauchst du doch keine Angst zu haben, Max“, sagte er leise. „Der Mann ist seit hundert Jahren tot.“
    „Seit etwas über dreißig Jahren.“
    „Naja, reicht doch.“
    Max schaute auf. „Ja, Otto Kern ist tot. Was mich beunruhigt, ist aber nicht Otto

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