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Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)

Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)

Titel: Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Arnold
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zu sagen. Nichts. Doch intuitiv tat sie das richtige. Sie strengte
ihre Sinne an, hörte genau hin. Es war noch nicht zu spät. Sie hörte ein Herz
schlagen, schnell heftig. Hoffnung. Sie riss sich zusammen, begann wieder zu
rennen. Sie folgte dem Schlagen des Herzes. Dann war da ein weiteres Geräusch.
Zuerst war es ein leises Wimmern, das dann zu einem lauten Schluchzen wurde.
Dann Schreie, immer lautere Schreie. Es war Grace, sie war es, die schrie.
Ceela war bei ihr angekommen.
    „Oh Gott, Grace! Du lebst noch! Ich bin so glücklich! Was ist
passiert?“
    „Er hat sie erschossen…“ Sie schrie immer noch. Ein Meer aus Tränen
rann über ihr Gesicht. Ihre Kleidung war mit Blut getränkt. Sie kniete vor
einem leblosen Körper. Sie hielt ihn fest umschlossen. Bis zum letzten Atemzug.
Dann war es vorbei. Sie war tot. Grace umschlang ihren Körper, presste ihn an
sich.
    „Du darfst nicht sterben, du darfst doch nicht sterben…“
    Sie schluchzte. Ihre Kleidung klebte an ihrer Haut. Ihr Gesicht war mit
dem Blut der Toten verschmiert und von Tränen überzogen. Sie wimmerte. Sie
wiederholte jedes Mal dieselben Worte:
    Du darfst nicht sterben! Du bist doch noch so jung. Ich kann nicht
ohne dich…
    Sie vergrub ihr Gesicht in dem leblosen Körper des Mädchens. Ceela
beugte sich zu ihr runter und nahm Grace in die Arme. Sie gab sich hin und
rollte sich in Ceelas Armen zusammen. Ceela schloss sie ein und strich ihr
durch das Haar.
    „Wer war sie?“, flüsterte Ceela.
    „S-sie war …m-meine jüngere Schwester…“, flüsterte Grace und schluckte
heftig.
    Sie schrie nicht mehr. Sie weinte stumm vor sich hin. Sie verweilte,
die Tränen würden nie weniger werden, sie würde nie wieder glücklich werden…

Kapitel 10
     
    Die Sonne verschwand langsam vom Horizont. Die Luft kühlte ab. Alles
war in zartes Orange getaucht. Sie saßen im Bus. Jay saß vorne neben dem
Fremden und sie unterhielten sich. Weiter hinten im Bus saßen Ceela und Grace.
    „Es tut mir ja so leid“,  sagte Ceela mitfühlend.
    „Es ist so…es kann einfach nicht wahr sein. Sie ist weg, sie wird nie
wieder kommen. Ich hätte sie beschützen sollen. Ich habe geahnt, dass die
Flucht nicht wahr sein konnte. Es wäre zu einfach gewesen. Doch ich habe nichts
gesagt. Sie wollte unbedingt fliehen, sie wollte den Reservaten entkommen, um
jeden Preis. Sie war krank, weißt du…Sie war sehr krank.“ Während sie erzählte,
füllten sich ihre Augen mit Tränen.
    „Was hatte sie?“
    „Sie war geistig behindert. Sie war nicht so wie wir im Kopf. Sie wurde
gefunden und bei der Resetta aufgerufen. Ich konnte sie nicht alleine lassen,
sie wäre gestorben, alleine. Ich habe mich freiwillig gemeldet, um sie
begleiten zu dürfen. Ich habe es nicht geschafft, sie zu beschützen! Sie ist
tot, weil ich zu unfähig war, auf sie aufzupassen. Es ist meine Schuld…“ Die
Tränen flossen unaufhörlich, sie schluchzte.
    „Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür. Du wolltest immer
nur das Beste für sie.“
    Sie nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Sie strich ihr über den
Kopf. Sie hörte zu, wie Grace von ihrer Schwester erzählte. Es war das einzige,
was sie tun konnte. Die Zeit würde ihr helfen. Ceela konnte sich nur die Zeit
nehmen, ihrer Geschichte zuzuhören. Das half ihr auch. Sie nahm einen Teil von
Grace Last auf sich. Sie hörte ihr zu, bis irgendwann vielleicht einmal die
Zeit die Wunden heilen würde. Doch der Schmerz würde wahrscheinlich nie ganz
verschwinden. So war das eben mit Trauer und Schmerz - man konnte langsam
anfangen zu vergeben, doch vergessen durfte man nicht. Erinnerungen sind
wertvoll - ohne sie wäre unser Leben unvollkommen. Wenn uns alle guten
Erinnerungen genommen würden und nur noch der Schmerz bliebe, dann würden wir
innerlich zerreißen. Man musste den Schmerz vergessen und das Gute behalten,
doch bis man das endlich verstand, verging Zeit, lange Zeit und man musste
durchhalten. Niemand sagt einem, es würde einfach sein, doch es ist härter als
man denkt. Es geht über von Trauer und Schuld zu Zorn, bis man irgendwann
versteht, dass es so kommen musste. Geschehenes ist geschehen und man kann die
Vergangenheit nicht ändern. Das hatte Ceela erst nach vielen schmerzvollen
Jahren begreifen können.

Kapitel 11
     
    Abrupt schmiss Grace den Kopf nach vorne und keuchte heftig. Ihr Atem
ging kurz und stoßweise. Die Bilder wollten sie nicht loslassen. Sie versuchte
sie aus ihren Gedanken zu verbannen. Vergeblich.

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