Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
sie eben schon einmal gehört. Sie
lächelte.
„Klar, was gibt’s?“
Er zog sie ein Stück weg von den Bussen, den Ropeys, ihren Geräuschen.
Er zog sie in die Stille des Waldes. Am Rande der kleinen Lichtung, auf der sie
gehalten hatten, stand eine alte hölzerne Bank. Jay ließ sich langsam darauf
sinken. Seine Muskeln entspannten sich. Ceela ließ sich neben ihm auf der Bank
nieder.
„Ich hab mit Lucas geredet…“, setzte er an, wurde aber unterbrochen.
„Wer ist Lucas?“, fragte Ceela, den Namen hatte sie noch nie gehört.
Also, sie kannte den Namen, ein normaler Name, Lucas, aber sie kannte nicht den Lucas, von dem hier die Rede war. Verwirrung über sich selbst stieg in ihrem
Gesicht auf.
„Na, du kennst ihn doch. Er hat doch gerade Grace abgeholt.“
Sie machte eine Geste mit ihrem Kopf, die irgendwo zwischen einem
Nicken und einem Zeichen von „Ah, der Lucas! Ja klar…!“ lag. Jay fuhr
fort.
„Wir haben über Jason geredet, über seine Vorstellung, er würde den
Ropeys mit dem Gnadenschuss einen Gefallen tun und die Schwachen
ausschalten, bevor die Natur dies übernehmen würde. Lucas sagt, Jason sei ein
normaler, netter Kerl gewesen. Dann musste er mitansehen, wie sein großer
Bruder bei einem Waldbrand lebendig verbrannt ist. Dadurch hat er sich verändert.
Er bekam die kranke Vorstellung, er würde andere so beschützen können, vor
einem Tod in den Reservaten.“
Ceela nickte. Geschockt. Sie konnte ihn besser verstehen, man musste
sich immer erst anhören, was ein Mensch alles in seinem Leben hatte erleben,
hatte durchstehen müssen, um zu verstehen wie er handelte. Sie fand es trotzdem
nicht gut, was er getan hatte. Es war schrecklich, aber wenigstens hatte sie
ein wenig mehr ein Gefühl von Nachvollziehbarkeit für ihn bekommen.
„Was ist da nun eigentlich genau passiert?“, fragte Ceela traurig. Sie
war sich selbst nicht sicher, ob sie es wirklich wissen wollte.
„Lucas hat mir erzählt, wie Jason vorgeht. Er ist anfangs nett und
freundlich, er täuscht alle, so wie er uns getäuscht hat. Wenn sie mitten in
der Wüste sind, zieht er diese Flucht-Aktion durch. Viele haben solche Angst,
wurden so von ihm beeinflusst, von ihm gelenkt, dass sie sich dafür
entscheiden. Sie laufen fort. Er folgt ihnen, er erledigt persönlich die Ropeys
mit seinen Schusswaffen. Massenmord.“
„Wird Lucas ihr dasselbe erzählen?“, fragte sie ernst.
„Nicht alles.“
„Wie viel?“
„Nur so viel, wie sie verkraften kann. Ich hatte das Gefühl, dass er
auch mir so einiges verschwiegen hat. Er wird wohl seine Gründe haben…“
Sie schwiegen. Hart lastete die Erkenntnis über Grace Leidensweg auf
Ceela, genauso wie auf Jay. Sie waren noch nicht in den Reservaten angelangt
und es werden auch nicht alle ankommen. Mehr als zwei Drittel waren schon
gestorben. Ihr grausames Schicksal machte allen zu schaffen. Angst,
Verzweiflung, Trauer.
Aus den Armen des Waldes lösten sich zwei Silhouetten. Das Sonnenlicht
strahlte sie an und machte sie erkennbar. Lucas und Grace. Grace Augen
glitzerten feucht, sie hatte geweint, aber sie lächelte zufrieden, dennoch war sie
ein wenig bedrückt, doch es ging ihr deutlich besser. Lucas blickte
zuversichtlich, er musste ein wenig herunterschauen, um ihr in die Augen
schauen zu können, und Grace war schon groß. Als Jay sie sah, stupste er Ceela
gegen die Schulter.
„Hey, da kommen Lucas und Grace.“ Er umfasste Ceelas Kopf vorsichtig,
drehte ihn in die Richtung, aus der sie aus dem Wald schritten. „Da vorne.“
Sie spürte Graces Lächeln, also lächelte sie ebenfalls. Sie stand auf.
„Komm, ich denke, wir fahren jetzt weiter.“ Sie zog Jay von der Bank
hoch.
„Du bekommst mich nicht hoch!“ er lachte.
Ceela zog mit aller Kraft an seinem Arm, vergeblich. Sie musste auch
lachen.
„So schwach bin ich nun wirklich nicht, dass ich so ein Fliegengewicht
wie dich nicht zum Aufstehen bringen könnte!“ Ob sie wusste, was sie da sagte?
Es erwies sich tatsächlich als schwieriger, als zu Beginn vermutet. Sie zog und
zog. Sie lachte ausgelassen, weil sie sich so lächerlich vorkam. Sie erhob
beide Hände.
„Ich gebe auf. Du hast gewonnen. Aber nur dieses Mal!“ Sie lachte immer
noch. Es tat gut mal wieder zu lachen. Das lockerte die ganze Situation
irgendwie. Sie würde so oder so in die Reservate kommen, was also sprach
dagegen, dass sie nicht wenigstens ein bisschen Spaß haben durfte?
„Wie ich’s gewusst hab!“ Jay lachte herzlich und
Weitere Kostenlose Bücher