Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Sekretärin blieb unberührt.
„Ihr Erscheinen wird in einem anderen Raum erwünscht. Würden sie mir
bitte folgen?“
„Aber natürlich, Miss“, erwiderte Ceela höflich. Dann kehrte sie ihren
Freunden den Rücken und folgte der schmalen Frau. Die Nervosität verwandelte
sich in ein Monster in ihrem Inneren, das an ihr nagte und zehrte und immer
größer wurde, während sie immer kleiner wurde, scheuer, ängstlicher,
ehrfürchtig davor was passieren würde und doch war da immer noch ein Schimmer
Hoffnung, der ihr sagte, alles würde gut gehen! Doch was war Hoffnung schon?
Hoffnung war schlimmer als Angst, denn man konnte sie verlieren, was so viel
erbarmungsloser und kälter war. Die Hoffnung war eine Lügnerin, denn sie
wusste, dass sie beobachtet wurde, wusste, dass sie es wussten, sie waren ihr Feind und Ceela hatte verzweifelte Angst davor was sie nun mit
ihr anstellen würden, sie brauchte sich nicht selbst zu belügen.
Die Miss mit der schmalen Brille hielt vor einer massiven Tür, hob
entschlossen ihre knochige Hand und klopfte zweimal gegen das dicke Holz. Wo
waren sie eigentlich hingelaufen? Ceela hatte nicht auf den Weg geachtet, war
in ihre Gedanken vertieft gewesen, ein Fehler. Sie durfte sich keine Fehler
erlauben, jedes Detail war wichtig. Sie rief sich zur Ordnung, sie musste aufhören
sich solche Gedanken zu machen. Was sollte schon mit ihr passieren? Sie musste
jetzt stark sein, musste überzeugend sein, dann würde alles gut gehen. Sie
klammerte sich so fest daran, dass alle Angst wie weggeblasen schien, alle
Zweifel schienen entschwebt. Mit neuem Mut, neuer Kraft, hob sie den Kopf und
starrte mit ihrem toten bohrenden Blick nach geradeaus vorne, als sich die Tür,
die direkt vor ihr lag, öffnete.
Düstere Augen starrten ihren blinden unwissenden Augen eisern entgegen.
Ein breiter Mann stand im Türrahmen, nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt.
Die große raue Nase warf Schatten auf seine scharfen Gesichtszüge, harte
Konturen wurden von dem Licht und dem Schatten umspielt und verliehen seinem
Gesicht eine bedrohliche Kälte. Sein graues Haar war ölig nach hinten gekämmt
und er war glattrasiert. Sie wartete, sah nichts als die kalte Schwärze, doch
sie konnte ihn spüren, den Fremden. Wer war er?
„Treten sie ein, Miss Nish“, sagte er ruhig und seine wulstigen Lippen
verzogen sich zu einem geheimnisvollen Lächeln. Dann wandte er den Blick zu der
Sekretärin und er entgegnete ihr ernst:
„Vielen Dank. Sie können nun gehen, Mrs Martin.“ Seine Stimme klang
ruhig und freundlich, doch der scharfe Befehlston war unverkennbar. Dieser Mann
befand sich definitiv in einer höheren Position, vielleicht spielte er sogar in
der Liga der ganz Großen, schmunzelte Ceela. Was könnte er nur von ihr wollen?
Mit einer vagen Geste bedeutete er ihr auf einem der ausladenden Sessel
Platz zu nehmen. Als sie nicht reagierte, räusperte er sich. Verwirrt schaute
er in ihr Gesicht. Sie spürte den prüfenden Blick.
„Sir?“ sagte sie knapp und trat vorsichtig einen Schritt näher.
„Hm, ja, ich verstehe. Tut mir leid, Miss Nish. Ich habe nicht oft die
Ehre blinde Gäste zu empfangen. Wie unhöflich von mir. Wenn sie erlauben.“ Er
nahm ihre Hand, sein Griff war fest und seine Hände waren so hart wie sie das
Holz der Tür, doch er führte sie ganz sanft durch den Raum auf einen Sessel zu,
der im Schatten der gewaltigen Bücherregale lag, die die Wände verdeckten.
„Nehmen sie doch Platz, Miss.“
Vorsichtig ließ sie ihre dünnen Finger über die weichen Polster des
uralten Sessels gleiten, dann ließ sie sich sanft hineinsinken. Sie saß mit
geradem Rücken, legte das eine Bein über das andere und faltete die Hände im
Schoß, dann blickte sie in die Richtung, in der sie das Herz des alten Mannes
pochen hörte, der sich auf einem anderen Sessel niedergelassen hatte. Die
Minuten vergingen in Schweigen, das einzige Geräusch war ein leises Klimpern, was
Ceela nach kurzer Zeit identifizierte: er rührte mit einem Löffel in einer
Porzellantasse. Dieses Geräusch hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Dort
wo sie herkam gab es keine Tassen, keine Löffel, so etwas brauchte man nicht.
Doch als sie auf der Straße gelebt hatte, hörte sie eine ältere Frau davon erzählen
und hörte das Klimpern. Das Schweigen wurde unerträglich. Sie rückte sich im
Sessel zurecht und ließ sich gegen die Lehne sinken.
„Warum bin ich hier, Sir?“, fragte sie höflich.
„Sir George Lideon“,
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