Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
nur in Panik
versetzen. Das würde nichts bringen. Was sie nicht wissen, kann sie nicht
verunsichern…“, flüsterte sie bedacht in den nebeligen Wald, ihr toter Blick
ruhte auf Jay, ihre Ohren lauschten dem beruhigenden Klang seines Herzens. Bum-Bum,
Bum-bum, immer gleich, immer regelmäßig. Ruhig und kraftvoll zugleich. Sie
könnte in diesem Klang versinken wie in einem heißen Bad.
„Ceela, verdammt! Es geht nicht darum, hier den Helden zu spielen! Du
musst sie warnen, es geht hier um unser aller Leben! Du kannst sie nicht blind
hier rum laufen lassen, während…“
Sie schnaubte verächtlich, wand sich aus seinem Griff. Blind.
„Ach, Ceela! Komm schon, du weißt was ich meine! Wir können sie nicht
im Ungewissen lassen, während diese Bestien hier im Wald ihr Unwesen treiben!“ Er
wirkte verzweifelt, dennoch war seine Stimme hart und laut. Zu laut.
„Jay! Sei still! Du redest viel zu laut! Keine Angst, so schnell werden
wir nicht mehr angegriffen, das kann ich dir versichern, und wenn doch, dann
mache ich eben dasselbe wie vorhin, ich schaffe das…“
„Wie kannst du dir so sicher sein, dass das der letzte Angriff war?!“ Genervt
schnaubte er.
„Weil es kein Angriff, sondern eine Prüfung war. Und die haben wir ja
wohl bestanden!“
„Ach ja, woher willst du das wissen?! Kannst du jetzt etwa noch
Gedanken lesen, oder was?!“ Er glühte fast, so wütend war er. Wie konnte sie
die anderen nicht warnen?
„Weil wir noch leben, Jay! …weil wir noch leben!“, keuchte sie. Dann
stampfte sie wütend und mit einem Berg an Schuldgefühlen so hoch wie der Mount
Everest davon, drehte sich noch einmal um und zischte bissig:
„Kein Wort!“
Dann blieb es stumm im Wald. Nur der sachte Wind, der die Blätter in
seinen Armen wog und an ihren blonden Locken spielte und zerrte, bis sich
einige Strähnen aus dem geflochtenen Zopf lösten und ihr wirr ins Gesicht hingen,
pfiff durch den Nebel. Doch zu ihrer Überraschung und riesigen Erleichterung
hielt er sich daran, er verlor kein Wort, über das, was wirklich geschehen war.
Sie schämte sich selbst, dass sie den anderen die Wahrheit vorenthielt, aber so
war es besser. Sie würden es nicht verstehen, ich verstehe es ja selbst
nicht! , sagte sie sich, mehr um ihr Handeln zu rechtfertigen und sich
selbst zu beruhigen, als dass sie es wirklich glaubte.
Der Mittag neigte sich zum Abend, es dämmerte bald, die Wolkenfetzen zogen
wie Vögel über den dunkler werdenden Himmel, der größtenteils von dem dichten
Blätterdach bedeckt war, als die Gruppe endlich das Dorf erreichte. Jay konnte
erstmals richtig betrachten, wo sie nun eigentlich lebten. Die kleinen Hütten
standen teils auf dem Boden, waren aber meist in die Bäume eingearbeitet und
befanden sich ein paar Meter über dem Boden. Heruntergekommen, alt und
schmutzig wirkten die Bretter und Dächer der Häuser. Ein paar der kleinen
Öffnungen, die wohl als Fenster dienen sollten, waren in schwaches Licht
getaucht, welches von innen herausströmte. In die Äste waren Seile und Leinen
eingearbeitet, an denen Kleidungsstücke hingen, Tücher, Decken. Auf dem Boden
unter einigen Hütten standen kleinere Scheunen, aus denen die Laute verschiedenster
Tiere kamen und ein paar Hühner flatterten aufgeregt auf dem Boden herum. Wie
lange hatte er schon keine dieser Tiere mehr gesehen? Die meisten kannten sie
nur noch aus Büchern, von Bildern oder Erzählungen. Dort wo er herkam, da waren
Tiere außerhalb der Stadt, außerhalb der Wohngebiete gehalten worden, in
riesigen Lagerhallen lebten sie und hatten nur Kontakt zu wenigen Menschen, sie
wurden dort gezüchtet, geschlachtet, Erzeugnisse wurden eingesammelt. Sie waren
eben Nutztiere und hatten nichts bei den Menschen verloren. Die Leute, die sie
betreuten, deren Job es war, sie zu pflegen, waren meist von niederem Rang und
ihnen blieb keine andere Wahl als die Gesellschaft zu verlassen und sich dem
Dreck und Gestank, der von der Regierung als gesundheitsschädlich erklärt
wurde, zu widmen, um zu überleben. Doch er wusste es besser und nun fand er
Bestätigung. Die Tiere waren vielleicht nicht immer angenehm, sie machten Dreck
und Lärm, aber schädlich waren sie bestimmt nicht. Er erspähte in der Ferne eine
Katze. Sie war klein und hatte buschiges Fell, das sie wie ein Wattebausch
umgab und von schmalen grauen Streifen durchzogen war. Sie erblickte die Gruppe
und verschwand rasch hinter einem Baum. Aus einer Hütte vernahm er Stimmen, als
er genau
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