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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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fürs Institut beantragt und genehmigt gekriegt hatte, vertiefte sich Carina in das Gutachten, eine Anklage wegen Kindesmisshandlung. Sofort sah sie das verletzte und verängstigte Mädchen wieder vor sich, wie es sich an seine Mutter klammerte, die es misshandelt hatte. Sie schüttelte den Kopf. Sie musste ihre Gefühle ausblenden und sich auf die Fakten ihrer Untersuchung konzentrieren. Zweiunddreißig Hämatome hatte sie am Körper der Dreijährigen gezählt. Im Gesicht, an Armen und Beinen, fast keine Stelle war nicht blau oder gelb-lila verfärbt gewesen. Dazu kamen schlecht verheilte Knochenbrüche an Oberschenkeln und Rippen sowie ein auffälliges Muster auf den Pobacken. Die Polizei stellte bei einer Hausdurchsuchung der Elternwohnung das Dampfbügeleisen sicher, das die zu einem großen Zacken geformten Wunden hinterlassen hatte.
    Plötzlich fuhr sie herum. Schon die ganze Zeit fühlte sie sich beobachtet. Hatte Nusser sich hereingeschlichen, um sie in der nächsten Sekunde zu erschrecken? Aber da war nichts, außer die halb abgerissene Abbildung des Verdauungstrakts, die noch am Kartenständer hing. Sie streckte sich und stellte die Füße auf das Brett unter dem Seziertisch. Dort hatte einst ein Eimer gestanden, um die Körperflüssigkeiten aufzufangen, die durch das Loch in der Mitte abgeflossen waren. Nur noch zwei Seiten, sie konzentrierte sich auf ihren Abschlussbericht. Mehrmals kratzte sie sich im Nacken. Es war, als säße eine Katze zwischen dem Gerümpel und beobachtete sie. Aber da lag nur dieser Schädel, ein blanker Knochen, ohne Augen und Nase, und grinste sie zahnlos an.
    Schließlich erhob sie sich, angelte ihn aus dem Schrank und strich mit den Fingerspitzen über die Oberfläche. Keine Geweberückstände, wenn auch die raue Struktur und die porösen Stellen verrieten, dass er nicht ausgekocht worden war, wie es mit einem entfleischten Kopf geschehen wäre. Durch den leichten Glanz konnte man ihn fast für einen Plastikkopf halten. Sie roch daran. Nichts. Oder doch? Ganz schwach nahm sie den Hauch eines Parfüms wahr. Der Geruch kam ihr bekannt vor. Warum war ihr dieser Schädel bisher entgangen? Jetzt sah sie, dass im Gehörgang etwas Dunkelgrünes klebte. Mit einer Pinzette zupfte sie es heraus und hielt es unter eine Lampe. Pflanzenfasern, ein winziges Farnstück, wie das Blatt eines Bonsaibaumes. Sie sicherte es in einem Tütchen.
    Vielleicht wusste Nusser mehr, sie glaubte ihn vorhin, als sie das Institut betreten hatte, irgendwo herumrumoren gehört zu haben. Zumindest konnte er zu jedem der Schädel aus dem Mazerierraum mindestens eine Geschichte erzählen, die er variierte, je nach Publikum. Wenn Studentinnen an seinen Lippen klebten, flunkerte er ihnen etwas von einem Waldmenschenschädel vor, einem Nachfahren der Neandertaler, der im Isartal gelebt hatte. Gelangweilten Juristen, die nur ihre Pflichtvorlesungen in der Rechtsmedizin absolvierten, machte er weis, dass die Kelten die Köpfe ihrer Feinde in einer Truhe aufbewahrt hatten und sich bei jedem Gastmahl damit brüsteten.
    Dabei war kein einziger Schädel archäologisch interessant und wenn, dann hätten die nicht einfach auf einem Brett über dem Mazerierkessel herumgelegen. Die wirklichen Raritäten, ein Schrumpfkopf, eine mumifizierte Hand und ein präparierter Säugling mit Wasserkopf, lagerten in den Glasvitrinen der Bibliothek.
    Bis auf etwas roten Schaum im Ausguss glänzten die Stahltische im Seziersaal bereits wieder, nur der Präparator war nirgends zu sehen. Sie fand ihn im Historaum, wo sie die Gewebeproben der Obduzierten in Schraubgefäßen verwahrten. Auf den ersten Blick sah es hier wie in einer großen Speisekammer voller Marmeladengläser aus, nur wer näher trat, entdeckte Gehirne, Augen und andere in Formalin eingelegte menschliche Proben, die sie bei den Obduktionen routinemäßig entnahmen.
    »Schau, ich zeig dir was.« Nusser zog das Gazetuch von einem großen Glas, das unter dem Regal am Boden stand. »Ich glaube, sie haben alles weggefressen.«
    Carina legte den Schädel in ein Regal und beugte sich über das Gewimmel im Glas. Ein Nest aus Kleintierstreu, das einem Ameisenhaufen glich, nur dass es keine Ameisen waren.
    »Vor zwei Tagen habe ich sie erst entfleischt und dann die Aasis damit gefüttert.«
    »Die Aasis?«
    »Die Speckkäfer.« Nusser verdrehte die Augen, krempelte den Kittelärmel hoch und langte mit einer Pinzette in das Gewimmel, wühlte eine Weile darin herum, als suchte er am Grund

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