Die Versuchung
eintauschen; wer sich nicht amüsieren wolle, sollte nicht zu einem Maskenball gehen, erklärte sie. In der Theaterloge säße sie jede Woche viermal. Doch auch Sophie hatte jetzt bemerkt, dass sie von einer schwarzen, schweigsamen Gestalt verfolgt wurden, und flüsterte, sie müsse an die Inquisition denken.
„Er scheint auch völlig unbekannt zu sein, ich habe ihn noch mit niemandem sprechen sehen“, sagte Sophie leise.
„Belästigt er sie auf irgendeine Weise?“, fragte Hamilton.
„Nein, überhaupt nicht“, antwortete Isabelle. „Vielleicht hat er sich einfach ohne jeden Hintergedanken einer Gruppe angeschlossen, die ebenfalls schwarz gekleidet ist.“
Inzwischen waren die nicht maskierten Logenzuschauer nach unten in den Ballsaal gekommen, wo sie von den Maskierten angesprochen und geneckt wurden, wobei manche Bemerkungen auch weniger freundlich oder sogar unverschämt waren. Auch Olivia und Madame Lustig gehörten zu den Übermütigen, die schließlich von einigen Ballbesuchern verfolgt wurden, weil man ihnen die Masken abnehmen wollte, hinter denen sie sich versteckten. „Schnell durch die Seitentür nach Hause!“, flüsterte Madame Berger ihnen zu, während sie umher gestoßen wurden. Draußen warteten mehrere Kutscher auf Fahrgäste und Hamilton winkte einen herbei.
„Wie gut, dass wir es geschafft haben, zusammen zu bleiben!“, rief Olivia im Wagen. „Ich hatte schon befürchtet, dass ich meinen verkleideten Verehrer nicht mehr los werde. Wer das wohl war?“
„Keine Ahnung“, sagte Madame Ludwig gähnend, „aber ich bin auch froh, dass wir in dem Durcheinander nicht getrennt worden sind.“ Zur Sicherheit zählte sie noch einmal alle Anwesenden: „Eins – zwei – drei- vier – fünf!“
Sie fuhren zum Haus der Bergers, um sich umzuziehen. Hamilton half den Damen aus dem Wagen, aber die Letzte sprang ohne Hilfe hinaus und warf den schwarzen Umhang zurück – darunter steckte der Orientale, der Olivia den ganzen Abend gefolgt war.
„Gute Nacht, Madame Berger!“, rief er mit verstellter Stimme und lief lachend die Straße hinunter.
„Hat man je so etwas Unverschämtes gesehen?“, rief Olivia. „Er muss von jemandem einen schwarzen Umhang bekommen haben, um sich unter uns mischen zu können.“
„Aber – dann muss eine von uns noch im Theater sein!“, rief Madame Ludwig.
„Es wird Sophie sein“, sagte Hamilton. „Ich fahre sofort zurück, um sie zu suchen.“
„Ich bin hier“, sagte Sophie. „Es muss Isabelle sein.“
Hamilton sprang wortlos in die Kutsche und fuhr los. Angst stieg in ihm auf und schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte in dem heftigen Gedränge den Arm einer der beiden Schwestern los lassen müssen, aber angenommen, dass beide kurz darauf wieder neben ihm waren. Der vermummte Orientale hatte ihn getäuscht. Vor dem Theater hielt er Ballbesucher an und fragte nach einer schwarz gekleideten Besucherin, die aussah wie eine Fledermaus. Man hatte viele schwarz gekleidete Masken gesehen. Endlich erinnerte sich ein Besucher, dass vor kurzem eine maskierte Person zu Boden gesunken und von einer anderen schwarzen Maske weggetragen worden war.
„Mein Gott, dass könnte Isabelle gewesen sein!“, rief Hamilton entsetzt.
„Ja, ich glaube, so hat er sie genannt“, sagte der Mann.
„Er? Wer war es? Kannten sie ihn?“
„Er war maskiert, aber er sagte, er wohne in der Nähe und sei ein Verwandter.“
„Raimund!“, stöhnte Hamilton. Er wusste, dass der Graf nicht weit entfernt vom Theater wohnte. Ohne zu zögern machte er sich auf den Weg. Die Haustür war nur angelehnt, offenbar hatten die Dienstboten heute Abend ebenfalls etwas vor; Raimunds Wohnung befand sich im Erdgeschoss. Die Wohnungstür stand zu Hamiltons Überraschung offen. Er trat in den Flur und klopfte leise an mehrere Türen, erhielt jedoch keine Antwort. Schließlich rief er laut: „Isabelle, wenn Sie hier sind, antworten Sie mir!“
Er hielt den Atem an und glaubte, aus einem Zimmer ein Geräusch zu hören. Er versuchte, die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen.
„Lassen Sie mich herein – öffnen Sie!“, rief er und rüttelte an der Klinke.
„Warten Sie!“, sagte eine Frauenstimme. „Warten Sie – ich muss … den Schlüssel ...“
„Isabelle, wozu zum Teufel haben Sie … wissen Sie eigentlich, dass ich vor Angst fast wahnsinnig geworden bin, weil ich Sie nicht gefunden habe? Sind Sie – allein?“
„Nein – doch, ja“, antwortete sie rätselhaft.
„Graf
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