Die Versuchung
dass er mitten im Winter nach der Trauung aufs Land fahren will statt einen Ball zu geben. Weißt du, dass die alte Gräfin vorhin schon unten war? Sie hat überhaupt keine Notiz von mir genommen. Eben gerade ist noch eine Kutsche vorgefahren, vielleicht ist das Philipp mit seinem Vater – ob er sich wohl in Uniform trauen lassen wird?“
Sophie eilte zum Fenster, um hinaus zu sehen, und Isabelle, die ebenfalls ein weißes Kleid trug, trat neben Hamilton und sagte leise: „Ist das nicht eine jämmerliche Maskerade? Es kommt mir alles vor wie ein schrecklicher Traum, aus dem ich nicht erwachen kann. Es wird mir unmöglich sein, gleich Überraschung zu heucheln, wenn ich erfahre, was ich bereits weiß.“
„Verbergen Sie ihr Gesicht schnell in Ihren Händen. Ich werde versuchen, in Ihrer Nähe zu bleiben“, antwortete Hamilton.
Isabelle wurde von Madame Rosenberg gerufen und sie gingen zusammen hinunter. Es waren etwa zwanzig Personen anwesend, darunter Gräfin Raimund. Isabelle und Sophie gingen in das angrenzende Zimmer, wo die Braut auf die Ankunft des Bräutigams wartete. Hamilton harrte nervös dem, was nun bald kommen musste. Wenig später fuhr die Kutsche von Graf Raimund vor. Sofort führte Frau von Hoffmann ihre Tochter in den Salon, um die Wartenden zu begrüßen. Kurz darauf wurden sie und auch die Gräfin nach draußen gerufen. Hamilton blickte aus dem Fenster und sah, dass man der Gräfin in die Kutsche half, die sofort abfuhr. Man holte einige Männer, darunter Herrn Rosenberg, der mit ernster Miene in den Salon zurückkehrte. Er sah sich im Zimmer um und sagte dann: „Es tut mir leid, unangenehme Nachrichten zu überbringen, aber – Graf Raimund ist so plötzlich und so schwer erkrankt, dass seine Mutter sofort nach Hause zurückkehren musste und – und die Trauung – heute nicht stattfinden kann.“
„Erkrankt?“, rief Caroline erschrocken. „Wo ist meine Mutter?“
Sie kam in diesem Augenblick zurück und Hamilton sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie alles wusste. Sie sprach hastig ein paar Worte mit den Gästen, die nacheinander das Zimmer verließen, um wieder nach Hause zu fahren. Auch die Rosenbergs wollten gehen, aber Caroline hielt Isabelle zurück und bat sie, bei ihr zu bleiben.
„Mademoiselle Isabelle wird dir nicht viel Trost geben können, liebes Kind“, sagte ihre Mutter schnell. „Es besteht wohl nur wenig Hoffnung, dass Graf Raimund wieder genesen wird.“
„Aber so lange er noch lebt, besteht doch Hoffnung“, sagte Caroline und brach in Tränen aus. „Sicher hat er die Cholera, aber es sterben doch nicht alle daran, und warum sollte er sie nicht überstehen?“
Das Ehepaar Rosenberg verließ mit Sophie und Hamilton den Salon und ging nach oben. Etwa eine Stunde später kam Isabelle nach und zog ein schwarzes Kleid an. Als sie in den Salon kam, sagte ihr Vater: „Seht, Isabelle trägt bereits Trauer! Sie hat einfach ein natürliches Gefühl für Anstand.“
„Eher ein natürliches Gefühl des Stolzes!“, rief Madame Rosenberg. „Sie will den Leuten zeigen, dass ein Graf Raimund mit ihr verwandt ist. Ihre Tante, die Gräfin, hat sich heute jedoch offensichtlich nicht an diese Verwandtschaft erinnert.“
„Was gibt es?“, fragte Isabelle ihren Vater.
„Was es gibt?“, rief Frau Rosenberg. „Dein Vater wünscht unnötigerweise, dass ihr Trauerkleidung für euren erbärmlichen Cousin tragt und schlägt vor, Sophies Hochzeit bis nach Ostern zu verschieben. Der Himmel weiß, was in diesen Cholerazeiten bis dahin passieren wird.“
„Babette!“, sagte ihr Mann vorwurfsvoll.
„Nun, jedenfalls bin ich gegen jede Verzögerung. Die Mädchen mögen Trauer tragen, wenn du es wünschst, und wir können die Hochzeit so still feiern, dass es keinerlei Aufmerksamkeit erregt.“
„Das ist ein vernünftiger Vorschlag“, sagte Major Stutzenbacher. „Sophie kann nach der Hochzeit sechs Monate Trauer tragen, wenn Sie es wünschen.“
„Einige Wochen wünsche ich“, antwortete Rosenberg. „Graf Philipp hat die Verwandtschaft anerkannt, er war immerhin der Neffe meiner verstorbenen Frau.“
Hamilton fragte Isabelle leise, wie ihre Freundin die Nachricht vom Tod ihres Bräutigams aufgenommen habe.
„Wir haben es nicht gewagt, ihr die Wahrheit zu sagen, sie glaubt immer noch, er habe die Cholera. Aber stellen Sie sich vor, ihre Mutter hat mich beiseite genommen und mir auf sehr gefühllose Weise mitgeteilt, was wirklich passiert ist. Dabei hat sie mich die
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